ray Filmmagazin » Themen » Im Schatten

Wiener Festwochen - Ein Festival-Schwerpunkt

Im Schatten

| Stephan Eicke |
Die Wiener Festwochen widmen dem Komponisten Mieczysław Weinberg eine Hommage. Ein Blick auf Leben und Werk des großen Vergessenen, der auch für den Film komponierte

Mieczysław Weinberg ist einer der vergessenen Künstler. Ein Komponist, dem nie die Anerkennung  zuteil wurde, die seinen großen Zeitgenossen gewiss war. Dass es sich dabei um eine ungerechte Vernachlässigung handelt, bewiesen in den vergangenen Jahren zahlreiche Einspielungen seiner Werke durch renommierte Labels wie Chandos oder Naxos, die viele Kompositionen des sowjetischen Künstlers erstmals auf Tonträger zugänglich machten. In diesen Einspielungen präsentiert sich ein erstaunlich wandlungsfähiger Komponist, der sich nicht leicht in eine Schublade stecken lässt. Denn Weinberg war ebenso wenig Nostalgiker wie Modernist, ein Künstler, der sich nicht leicht zuordnen lässt. Sein Cello-Konzert etwa steht der Spiritualität eines Alan Hovhaness nahe, sein Konzertwerk Rhapsody on Moldavian Themes ist in ihrem folkloristischen Traditionalismus eine liebevolle Hommage an die Volksmusik seines Heimatlandes, während er in einigen mit Dissonanzen und ironischen Brechungen durchsetzten Sinfonien seinem großen Lehrmeister Dimitri Schostakowitsch Tribut zollt. Wer also Mieczysław Weinberg entdeckt, stößt auf ein faszinierend farbenfrohes Oeuvre, das sich viel zu lange im Schatten der Werke großer Zeitgenossen befand. Die Wiener Festwochen haben dem sowjetischen Komponisten nun einen Schwerpunkt gewidmet, in dessen Rahmen auch der von ihm vertonte Film Die Kraniche ziehen gezeigt wird. Neben einer Gesprächsrunde mit dem passenden Titel Der unbekannte Weinberg, die am 14. Juni im Festwochen-Zentrum im Künstlerhaus in Wien stattfindet, werden in einem Konzert auch ausgewählte Werke von Weinberg und seinem Mentor Schostakowitsch aufgeführt.

Werbung

Vom Krieg gezeichnet

Das Thema seines Lebens, das sich durch sein gesamtes Werk ziehen sollte, hatte der junge Mieczysław bereits früh gefunden – und das hatte einen ganz persönlichen Grund: Bereits in frühen Jahren verlor er im Zweiten Weltkrieg seine Eltern und seine Schwester, die dem Faschismus zum Opfer fielen. Das Leid während Hitlers Herrschaft sollte den hoch politisierten Künstler bis ans Ende seines Lebens verfolgen, indem er es immer wieder zum Thema seiner Werke machte. Sein Hauptwerk etwa, die Oper Die Passagierin, handelt von einer KZ-Überlebenden, die ihrer ehemalige Aufseherin nach dem Zweiten Weltkrieg auf einem Ozeandampfer begegnet. Seine sinfonische Trilogie, On the Threshold of War, widmet sich dem Trauma der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg. Der Kriegsfilm Die Kraniche ziehen, für den er die Musik schrieb, fügt sich thematisch nahtlos in diese Reihe ein.

Verwinden konnte Weinberg die große Tragödie seines Lebens, den Verlust seiner Familie, bis zum Ende nicht: Sein Vater war ein jüdischer Musiker, Musikdirektor eines Theaters und Geiger, seine Mutter eine begabte Pianistin, die ihr Talent ihrem 1919 in Warschau geborenen Sohn zu vererben schien, denn dieser trat bereits im zarten Alter von zehn Jahren als Pianist auf. Den ersten Eingriff des Krieges in sein Leben musste der talentierte Musiker 1939 erleben, nachdem er seine Abschlussprüfung am Konservatorium abgelegt hatte, für das er mit zarten zwölf Jahren zugelassen worden war: Nach dem Einfall der deutschen Truppen in Warschau floh Weinberg mit seiner zwei Jahre jüngeren Schwester Esther Richtung Osten – für das Mädchen eine Tortur, die diese nicht bewältigen konnte. Erschöpft kehrte sie zu ihren Eltern zurück, mit denen sie nur wenig später in ein Warschauer Ghetto gesteckt wurde. Ihr Bruder hingegen schaffte es bis nach Minsk, wo er sich zunächst niederlassen konnte und Komposition studierte. Als die Deutschen 1941 jedoch in die Sowjetunion einfielen, musste er erneut fliehen und suchte in Taschkent Unterschlupf, wo er an der Oper als Korrepetitor arbeitete und seine spätere Frau Natalija kennen lernte. Seine Eltern und seine Schwester hingegen sollte er nie wieder sehen: Sie wurden 1943 im Zwangsarbeitslater Trawniki ermordet. Für Weinberg war es ein bedeutendes Jahr, das für seine Kompositionskarriere entscheidend ist. Nachdem er eine Partitur seiner ersten Sinfonie an den von ihm bewunderten Dimitri Schostakowitsch geschickt hatte, lud dieser ihn nach Moskau ein. Der große russische Komponist war von dem Werk des jungen Mannes begeistert und blieb bis zu seinem Tod dessen Freund und Mentor.

Im politischen Kreuzfeuer

Doch auch in der Metropole des Ostens sollte Weinberg zwar musikalische Inspiration, aber keine Ruhe finden – das System unter Stalin machte ihm auch privat zu schaffen. Der fortschreitende Antisemitismus kostete seinem Schwiegervater 1948 das Leben. Weinberg selber wurde 1953 verhaftet und konnte lediglich durch Stalins vorzeitigen Tod gerettet werden, wenn auch der Einfluss seines Freundes Schostakowitsch eine Rolle gespielt haben mag, indem dieser ein Plädoyer für seinen Kollegen an Stalins Polizeichef schrieb – als eine Art des Aufbegehrens ein großes Risiko für den Komponisten. Weinbergs Dankbarkeit war ihm gewiss; dieser widmete ihm nicht nur sein zehntes Streichquartett, sondern auch seine 19. Sinfonie (von insgesamt 22), die nach dem Tod Schostakowitschs uraufgeführt wurde.

Seine wichtigste Filmmusik schrieb der Mann, in dessen Pass der Name Moisey Vainberg stand, mit Die Kraniche ziehen von Mikhail Kalatozov 1957, einem der großen Antikriegsfilme, der in jeden ernst zu nehmenden Filmkanon gehört. Weinbergs von der traditionellen Folklore beeinflusste Musik ist deshalb so brillant, weil er weiß, wann sie zu schweigen hat in ihrem Kommentar der Beziehung zwischen Veronika und Boris in den Wirren des Zweiten Weltkrieges. Die Handkamera begleitet die junge Frau auf ihrer Flucht durch ihre zerbombte Heimat, sie versucht es zumindest. Sie hetzt hinterher, sie holt sie ein, sie ist voraus, sie beobachtet Veronika durch die engen Gitterstäbe des Lazarett-Hofes, alles beginnt sich zu drehen, als renne sie auf der Stelle, als würde sie rückwärts in einen Abgrund gerissen. Atemlos hetzt sie über die zerbombten Treppen des Hauses, die so aussehen, als würden sie unter ihren Füßen jede Sekunde zusammenbrechen, während brennende Balken über ihr herniederstürzen und ein Soldat versucht, sie aufzuhalten. Und dann ist da diese unerträgliche Stille. Eine Stille, die so laut ist, dass sie fast ihr Trommelfell zerplatzen lässt, als sie sich plötzlich in ihrem ehemaligen Esszimmer stehen sieht, das sie kaum noch wiedererkennt. Nur das Ticken einer Uhr ist zu vernehmen. Kitsch und Sentimentalitäten waren dem Komponisten fremd.

Vergessen

Die Zeit nach Stalins Tod – und somit die Lockerung der künstlerischen Zensur – erlaubte Weinberg schließlich größere Freiheit. Wenn seine Werke größtenteils doch tonal blieben, entfernte er sich immer mehr vom quasi-romantischen Gestus seiner früheren Kompositionen, indem er etwa mit Zwölfton-Techniken zu experimentieren begann. Seinem Ansehen als einer der führenden sowjetischen Komponisten war dies noch zuträglich – doch auch wenn ihm das Ansehen von Dirigenten und Musikern gewiss war, so gerieten seine Werke in den letzten zwei Jahrzehnten seines Lebens in der Öffentlichkeit zunehmend in Vergessenheit. Es war ein unrühmliches Ende für Weinberg, dessen Platz in der Musikhistorie von aufstrebenden neuen Stimmen in der sowjetischen Konzertmusik eingenommen wurde. So geschah es, dass kaum jemand vom Tod des verbitterten Künstlers im Jahre 1996 Notiz nahm. Erst in den vergangenen Jahren erlebte seine Musik ihre wohlverdiente Renaissance und gibt den Blick frei auf ein reichhaltiges Werk, dessen Vor- und Nachteil es gleichermaßen zu sein scheint, stilistisch nicht klar definierbar zu sein.