Ein weiterer Film über Klassenunterschiede in der Türkei
Der türkische Starregisseur Nuri Bilge Ceylan gewinnt, so oft er einen seiner Filme beim Wettbewerb in Cannes einreicht, einen der Hauptpreise und in diesem Jahr mit Winterschlaf endlich die Goldene Palme. Man wundert sich nicht, denn der Film ist lang, langsam und dialoglastig und vereint ansehnliche Darsteller vor dem Hintergrund der attraktiv-bizarren kappadokischen Höhlenlandschaft im Winter.
Das kleine Hotel, das der ehemalige Schauspieler Aydın dort betreibt, ist ziemlich leer, und als auch noch die drei letzten Gäste abreisen, bleiben er und seine junge Frau Nihal, seine Schwester Necla und sein Personal, der Verwalter und die Köchin, dort oben übrig. Man erwartet, dass die fünf zusammenrücken, aber das geschieht nicht; im Gegenteil scheint jede Person vor sich hin zu agieren, ungeachtet dessen, was die anderen tun. Vertrautheit, ja Intimität, scheint nur zwischen Aydın und seiner Schwester Necla möglich. Während er abends Kolumnen für die Lokalzeitung schreibt, sitzt sie mit einem Buch auf dem Sofa und liest, dabei träge mit ihm plaudernd. Bis man die Ehefrau Nihal zum ersten Mal überhaupt sieht, dauert es sehr lange; die Eheleute wohnen auf verschiedenen Ebenen des weitläufigen Geländes.
Der Verwalter erledigt alle anfallenden Arbeiten, auch die Eintreibung der Mieten im Dorf, denn Aydın gehören dort einige Häuser. Eins bewohnt der Hodscha, der jedoch mit der Miete im Rückstand ist. Unerfreuliche Begegnungen zwischen den beiden Parteien haben bereits stattgefunden, aber Aydın drückt sich gern vor der Begegnung mit seinen Mietern. Es ist ihm peinlich, dass er wohlhabend und intellektuell ist, andererseits nerven sie ihn mit ihren Anliegen, ihrer Beflissenheit und ihren Ritualen.
So unerfreulich ist die Gemengelage im kappadokischen Hotel, und sie wird im Verlauf des Films nicht besser; es stellt sich nämlich heraus – wie häufig bei Nuri Bilge Ceylan – dass Aydın den eigenen Ansprüchen nicht gewachsen ist und das ahnt. Ein Abend unter Männern im Suff und der darauf folgende Jagdausflug bringen ein paar Erkenntnisse.
Wie eine Rüstung trägt Aydın seinen schweren, nachtblauen Wollmantel und die Wanderstiefel, mit denen er durch den Schnee stapft. Trotz der weiten Landschaft ist die Szenerie kammerspielartig, Ceylan beruft sich auf Motive aus zwei Kurzgeschichten Tschechows, auf Molière und auf Shakespeare sowieso. Man denkt, dass es für einen türkischen Filmemacher aktuellere Referenzen gäbe.