ray Filmmagazin » Filmkritiken » Wo ist Anne Frank
Wo ist Anne Frank

Filmstart

Wo ist Anne Frank

| Jakob Dibold |
Lernen Sie Geschichten!

Bekannt ist das Tagebuch der Anne Frank sehr vielen, wirklich gelesen haben es davon wahrscheinlich bei weitem nicht alle. Künstlerisch verarbeitet wurde der weltberühmte Erfahrungsbericht vielmals, doch einen Animationsfilm gab es noch nie. Einer jener Filmemacher, die sich mit dem Erzählen in Form von zur Bewegung erweckten Zeichnungen bestens auskennen, Ari Folman, nahm sich dessen an, und siehe da: Diese Lücke wollte gefüllt werden.

Werbung

Denn Folman, der mit seiner dokumentarischen Kriegstrauma-Bewältigung Waltz with Bashir (2008) seinen größten Erfolg feierte und sich an die Anne-Frank-Verfilmung herantastend bereits eine Graphic Novel zum Thema publizierte, weiß die reale Tragödie und das sehr persönliche, auch literarisch anspruchsvolle Textwerk nicht nur in besonderer Bildgestaltung, sondern auch als fantasievolle Story in neuem Licht erstrahlen zu lassen: Im Zentrum der Handlung steht von Anfang an nicht Anne Frank, sondern zunächst vielmehr Kitty, die gedanklich ausgemalte Freundin Annes, die sie in ihrer Imagination adressiert, wenn sie ihre Erlebnisse und Eindrücke in das ihr so wichtige Buch niederschreibt. Kitty materialisiert sich aus der Tinte des Tagebuchs, das das Herzstück des Anne-Frank-Hauses – mittlerweile als Museum eine hoch frequentierte Tourismusattraktion – darstellt und wundert sich, wohin denn alle verschwunden sind. Wir schreiben die Jetztzeit in Amsterdam, das Stadtbild ist von zig nach Anne Frank benannten Bauwerken und Orten geprägt und das Tagebuch wird vom niederländischen Staat als eines der höchsten Kulturgüter angesehen, das es zu bewahren gilt. Dementsprechend groß die Aufregung, als Kitty mitsamt dem Tagebuch den sicheren Hafen des Hauses verlässt und sich auf die Suche nach ihrer besten Freundin begibt. Finden wird sie die Wahrheit über Anne, doch auch Zuneigung zu Peter, den sie zunächst als einen Taschendieb aus dem Museum wiedererkennt. Während sie durch die Lektüre des Tagebuchs das unfassbare Grauen, dem ihre Anne und so viele andere ausgesetzt waren, nachfühlt – der Film begibt sich in mal bedrückenden, mal spielerischen Rückblenden in die vierziger Jahre –, lernt Kitty durch Peter auch furchtbare Zustände der Gegenwart verstehen und beschließt, dass etwas unternommen werden muss. Ähnlich seiner vielbeachteten Arbeit aus 2008 (nur viel jugend- und kinderfreundlicher als dort) setzt Ari Folman in Where Is Anne Frank abermals Fragen nach individueller und kollektiver Erinnerung ästhetisch wunderbar in Szene, hier als Plädoyer für das Wesentliche und das Tun anstelle des Oberflächlichen und des Schwelgens.