Yorgos Lanthimos über die komplexen Frauen in „The Favourite“
Herr Lanthimos, hätten Sie gern in jener Zeit gelebt, in der dieser Film spielt?
Yorgos Lanthimos: Vermutlich nicht, es sei denn, man wäre in einen privilegierten Stand geboren.
Der Adel wird bisweilen als parasitär bezeichnet. Wie halten Sie es mit den Royals?
Yorgos Lanthimos: Ich habe kein besonderes Verhältnis zum Adel. Mich interessiert vielmehr ganz allgemein, wie sich Menschen in exponierten Machtpositionen verhalten. Was geschieht, wenn Dinge außer Kontrolle geraten? Wenn ein Mächtiger von persönlichen Beziehungsproblemen geplagt wird, kann das Folgen haben für das Schicksal von Millionen von Menschen. Das fand ich an dieser Geschichte der englischen Königin Anne unglaublich spannend. Wobei der Adel von heute weitaus weniger Macht hat als damals – und Royals damit tatsächlich parasitärer sind als einst.
Bei Ihnen sind die Frauen zwar an der Macht, verhalten sich jedoch nicht besonders rücksichtsvoll, ganz im Gegenteil.
Yorgos Lanthimos: Wenn ich einen Film über komplexe Frauen mache, heißt das ja nicht, dass ich sie idealisiere oder im besten Licht darstelle. Der entscheidende Punkt ist doch: Es sind Menschen, und damit können sie zu jeder Art von Verhalten in der Lage sein. Vor großartig über grausam bis liebenswert. Frauen in all ihrer menschlichen Komplexität darzustellen, finde ich spannender als Klischees.
Warum haben Sie sich für ein Historien-Drama entschieden?
Yorgos Lanthimos: Den Ausschlag dafür gab zunächst die Story. Dann fand ich es eine reizvolle Aufgabe, einen Film zu machen, der sich wie ein Historien-Drama anfühlt, zugleich aber modern ist und aktuelle Bezüge zu unserer heutigen Zeit bietet.
Worin sehen Sie die Aktualität?
Yorgos Lanthimos: In der Dynamik von Beziehungen geht es sehr häufig darum, wer die Macht hat und wer nicht. Das verändert die Beteiligten. Und es hat Auswirkungen auf all jene, die mit diesen Leuten zu tun haben. Für mich stellt das eine zentrale Komponente im menschlichen Verhalten dar.
In Ihren vorigen Filmen klangen die Dialoge minimalistisch, fast roboterhaft. Diesmal gibt es ein wahres Füllhorn an emotionalen Dialogen. Wollten Sie neue Wege gehen?
Yorgos Lanthimos: Wenn Sie das so sehen, vermutlich schon! (Lacht.) Ich persönlich würde bestreiten, dass die Figuren in meinen vorigen Filmen wie Roboter gesprochen haben. Vielleicht klingen die Dialoge diesmal anders, weil wir einen anderen Drehbuchautor haben. Wir hatten andere Ziele, die verlangten einen anderen Ton. Es ist mir wichtig, dass jeder Film seine eigene Tonalität bekommt.
Bei Ihrem Casting soll es recht lässig zugehen. Wie sieht der Besetzungs-Prozess aus?
Yorgos Lanthimos: Beim Vorsprechen vermeide ich, dass Schauspieler eine Szene nach bestimmten Vorgaben spielen. Ich möchte da lieber erfahren, ob ein Darsteller offen ist und Lust hat, verschiedene Dinge auszuprobieren. Er soll herumalbern können, ohne dass es ihm peinlich wäre. Mir sind Fantasie und Verspieltheit wichtiger als die intellektuelle Analyse einer Rolle. Zu Beginn halten sich die Schauspieler meist etwas zurück, weil sie diese Methode nicht gewohnt sind. Wenn sie dann in die richtige Stimmung kommen und Spaß haben, sind alle begeistert.
Musste Oscar-Preisträgerin Emma Stone tatsächlich zum Casting?
Yorgos Lanthimos: Emma musste nicht zum Casting, obzwar sie das gern erzählt. (Lacht.) Bei ihr ging es eigentlich nur darum, ob ihr britischer Akzent glaubhaft funktionieren würde. Als Grieche kann ich das schlecht beurteilen, deswegen hat ein Sprach-Coach das übernommen – das war dann auch schon das ganze Vorsprechen für Emma.
Die Einteilung in Kapitel und der eigenwillige Soundtrack erinnern an Peter Greenaway. Ist das eine kleine Hommage an ihn?
Yorgos Lanthimos: Ich mag einige Greenaway-Filme sehr. Für uns war Der Kontrakt des Zeichners eine gute Inspiration, weil er auf ganz besondere Weise ein Historien-Drama erzählt. Wir haben sogar eine der Perücken aus dem Film verwendet – insofern stimmt das durchaus mit der Hommage.
Und von Kubrick haben Sie die Kerzenstummel und das Objektiv übernommen? Viele der Szenen erinnern an „Barry Lyndon“ …
Yorgos Lanthimos: Ja, wir verwenden alle Kerzen, die Kubrick noch übrig gelassen hat! (Lacht.) Aber im Ernst: Die Ähnlichkeit rührt sicher daher, dass wir bei diesen Szenen ebenfalls auf künstliches Licht verzichtet haben. Ohnehin verwende ich in meinen Filmen fast nie künstliche Beleuchtung.
Der Film verblüfft durch große Verspieltheit, wie vergnüglich waren die Dreharbeiten?
Yorgos Lanthimos: Vergnügliche Dreharbeiten gibt es bei mir nicht! (Lacht.) Für mich bedeutet Drehen immer großen Stress. Man hat so wenig Zeit und muss so viel erreichen. Spaß habe ich immer dann, wenn ich beim Filmen etwas Besonderes entdecke. Aber sobald die Szene im Kasten ist, verfliegt diese Euphorie sofort. Die Schauspieler hatten allerdings großes Vergnügen. Solche Figuren spielt man mit Freude, zumal sich alle so wunderbar verstanden haben.
Was war die größte Herausforderung bei diesem Projekt?
Yorgos Lanthimos: Das Genre! Ein Historien-Drama macht einfach alles sehr viel teurer und komplizierter. Ganz simple Dinge können einen schnell zum Stolpern bringen. Man dreht eine Einstellung und plötzlich entdeckt man eine Steckdose an der Wand im Hintergrund. All solche Details halten einen ständig auf Trab – und dabei sollte man sich lieber um die wichtigen Dinge und die Darsteller kümmern. Mit einem begrenzten Budget werden solche Drehs schon zu einer ziemlich großen Aufgabe.
Sie räumen bei Festivals regelmäßig ab. Wie wichtig sind Ihnen solche Preise?
Yorgos Lanthimos: Es ist schön, Preise zu bekommen. Gleichzeitig bin ich mir bewusst, dass solche Entscheidungen von einer Handvoll Leute in einer Jury getroffen werden. Ob man deren Geschmack trifft, wird immer Glücksache bleiben. Insofern sind Preise kein Gradmesser für Qualität. Allerdings ist es ganz wunderbar, wenn Leute, die man selber schätzt, die eigene Arbeit auszeichnen. Außerdem verschaffen Preise einem Film mehr Aufmerksamkeit und helfen mir, mein nächstes Projekt zu realisieren. Preise sind also wichtig – aber ich nehme sie nicht allzu ernst.