Nach seinem erfolgreichen Frauenfilm Volver inszeniert Pedro Almodóvar mit Zerrissene Umarmungen ein heiteres bis düsteres Thriller-Melodram und besinnt sich in verspielter Selbstironie seiner eigenen Wurzeln in einem liebevoll inszenierten Film im Film im Film …
Lena ist schlecht. Speiübel, um genau zu sein. Angewidert vom Sex mit dem ungeliebten Geliebten, dem reichen Bonzen Ernesto Martel (José Luis Gómez), der früher ihr Chef war und mit dem sie sich schließlich eingelassen hat, weil er ihrem krebskranken Vater am Ende seiner Tage ein Bett in einer Privatklinik beschafft hat. Nach zwei Jahren Mätressendasein hat Lena allerdings nicht nur ihr Herz für die Schauspielerei entdeckt, sondern sich auch gleich Hals über Kopf in den erfolgreichen Regisseur Mateo Blanco (Lluís Homar) verliebt, in dessen Film sie nun die Hauptrolle spielt. Der skrupellos eifersüchtige Alte, der den Film produziert, um Lena bis ans Set nachspionieren zu können, würde einer Trennung allerdings niemals zustimmen, und so ist Lena umso skeptischer, als sie kurze Zeit später mit frisch gepuderter Nase ins Schlafzimmer zurückkehrt und Ernesto todesstarr vor ihr liegt. Verdutzt ob des vermeintlichen Glücks, lässt sie sich mit einer wohlverdienten Zigarette auf der Bettkante nieder. Doch noch bevor sie den ersten Zug in Freiheit genießen kann, überrascht sie Ernesto von hinten, ist also der schöne Spuk vorbei und mit ihm eine der zahlreichen kleinen zauberhaften Szenen, die Zerrissene Umarmungen zu einem wunderbaren Ganzen machen.
Kongenialer Stilmix
Um den Einwand gleich vorweg zu nehmen: Es strahlt schon ungewöhnlich viel Vertrautes von der Leinwand in Pedro Almodóvars neuem, seinem siebzehnten Film, allem voran eine abermals hinreißende Penélope Cruz als Lena, die nie schöner dicke Tränen auf eine saftig rote Tomate geweint hat, und ansonsten mal mit Marilyn-Monroe-Perücke, mal im Audrey-Hepburn-Look mit großen Augen in die Kamera staunt.
Und dennoch ist Zerrissene Umarmungen alles andere als lediglich eine lauwarm aufgekochte Mixtur des in diesem Jahr 60-jährigen Routiniers. Wie immer bei Almodóvar muss man ohnehin mit vorschnellen Urteilen und Kategorisierungen behutsam umgehen, versteht es doch kaum ein anderer Stilist des europäischen Gegenwartskinos derart locker-leichthändig in einem Film durch die Stile und Genres zu streifen, das Normale dabei mit dem Absurden zu kreuzen, sowie den Zauber des Kinos mit der entzauberten Wirklichkeit in höchst eigenwilliger Weise in Einklang zu bringen, sodass es einem trotz aller Zumutungen des Plots niemals in den Sinn käme, über den Wahrheitsgehalt des Geschehens zu spekulieren.
Nach dem mit Lob und Preisen überhäuften Volver, in dem Almodóvar den Frauen, Müttern und Großmüttern dieser Welt geradezu zärtlich und doch auch ganz unromantisch die Ehre erwies, ist Zerrissene Umarmungen in erster Linie wieder ein Film, der die Männerfiguren aus ihrer temporären Verbannung in Nebenrollen befreit, und dessen Handlung mit all ihren Liebesverstrickungen, den Verwischungen von Schuld und Sehnsucht, Verzweiflung und Verrat am ehesten einen klassischen Film noir suggeriert: Die zentrale Figur, um die herum sich das schillernde Gravitationsfeld der Emotionen organisiert, ist deshalb auch nicht die schöne Lena, die, soviel sei hier verraten, bei einem dubiosen Autounfall ums Leben kommt, sondern der bei eben demselben Unglück erblindete Mateo, der sein Leben seither als Drehbuchautor unter dem Pseudonym „Harry Caine“ bestreitet und die schmerzlichen Erinnerungen an seine große Liebe in einer Plastiktüte voller zerrissener Fotos in einer verschlossenen Schreibtischschublade verwahrt. Seine Skripts verfasst er mit Hilfe von Diego (Tamar Novas), dem Sohn seiner langjährigen Freundin und Produzentin Judit (Blanca Portillo), und dieser ist es auch, der Harry schließlich dazu bringt, den Film zu beenden, den er vor 20 Jahren mit Lena gedreht hat, eine klassisch schrille Komödie mit dem Titel „Frauen und Koffer“.
Verknotete Emotionen
Das klingt natürlich kitschig, ist es mitunter auch. Und deshalb hilft es schon gar nicht, wenn man hier in den Bahnen eines klassischen Noir-Thrillers weiterzudenken versucht. Vielmehr verknüpft Almodóvar, im gekonnten Wechsel zweier Zeitebenen, seine Handvoll Figuren und Erzählstränge zu einem hochdosierten Drama, das durchaus Parallelen zu Hitchcockschen Suspense-Szenen aufweist, das sich aber auch, wie alle 16 Filme zuvor, keiner anderen Spezialeffekte oder sonstigen Zutaten bedient als jener Handlungen, die Menschen einander vor lauter Liebe, Leidenschaft und Eifersucht antun können.
Betrachtet man den Schaffensprozess im Ganzen, sind die Herausforderungen für den eifrigen Geschichtensammler dabei ständig gewachsen: Von Live Flesh über Alles über meine Mutter bis hin zu dem deutlich kritischer aufgenommenen Schlechte Erziehung, immer virtuoser spannten sich die Handlungsbögen, die stets zwischen Melodram, Komödie und Telenovela schwankten, und immer waghalsiger wurden dabei die Emotionen verknotet. „Meine Filme werden mit den Jahren immer komplexer“, sagt Almodóvar selbst – man denke nur an den Krankenpfleger in Sprich mit ihr, der seine wehrlose Patientin im Koma schwängert und unter Almodóvars geschickter Führung am Ende dennoch zum sanften Helden wird, um sich des Ausmaßes eines solchen Unterfangens bewusst zu werden. Damit kann auf Dauer nur erfolgreich wegkommen, wer die sensiblen Nervenbahnen seiner Geschichte stets unter Kontrolle hat und keine seiner Figuren je denunziert, so fantastisch oder tragikomisch die Situationen auch sein mögen.
Zurück zu den Wurzeln
Wie Volver (auf Deutsch „Zurückkehren“) zuvor, ist auch Zerrissene Umarmungen eine Rückkehr, oder besser: Rückschau, in vielerlei Hinsicht. Bereits der Titel von Mateos Film im Film lässt unschwer erkennen, dass sich Almodóvar hier diesmal ganz konkret auf die Übertreibungskunst und schrille Ästhetik seiner frühen Komödien besinnt, die er längst ohne große Reibungsverluste auf ernstere, tragische Stoffe übertragen hatte. Knallbunte Kleider, abgestimmt auf die Farben der Inneneinrichtung und getragen von ganz normal verrückten Frauen, unterstreichen das Bild und den wohlbekannten, herrlich komödiantischen Ton. Dass Zerrissene Umarmungen allerdings trotz der heiklen Plot-Konstruktion und der zahlreichen filmischen Bezüge nicht zum überladenen, selbstverliebten Zitatenkino verkommt, ist vor allem Almodóvars erfrischend unprätentiösem, selbstironischem Umgang mit seinem eigenen Werkkatalog zu verdanken: Der offenkundige Rückgriff auf Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs ist hier keine eitle Show, sondern entpuppt sich als eine der schönsten Pointen des Films.
Mitunter enervierend wirkt dagegen Almodóvars schon immer stark ausgeprägtes Faible für Krankenhäuser als Location, ein Motiv, das hier ebenfalls wieder auftaucht und das mit zunehmendem Alter fast schon in Besessenheit umzuschlagen droht. Wie bereits in Blühendes Geheimnis, Alles über meine Mutter und Sprich mit Ihr liegt auch in Zerrissene Umarmungen wieder jemand im Koma, und etliche Figuren verbringen zeitweise Aufenthalte in Notaufnahmen und Krankenbetten. Vielleicht ist das aber auch, zumindest im vorliegenden Fall, in gewisser Weise der Entstehungsgeschichte des Films geschuldet. Schließlich sei dem Regisseur die Idee zum Drehbuch während eines seiner zunehmenden Migräneanfälle gekommen. Sei’s drum. „Leidenschaft bringt Helden hervor – oder Monster“, hat Pedro Almodóvar einst in einem Interview gesagt und damit die Triebkraft dieses Filmwerks vielleicht am treffendsten formuliert. Denn ohne eine emotionale wie physische Bindung zu seinen Stoffen, Bildern und Darstellern könnte Almodóvar, dessen Produktionsfirma übrigens den Namen El Deseo (das Begehren) trägt, höchstwahrscheinlich gar keine Filme machen – zumindest nicht solche wunderschönen.