Mit „Zulu“ gelingt Jérôme Salle ein brillanter Thriller vor dem Hintergrund der politischen Geschichte Südafrikas.
Es scheint zunächst ein Routinefall für Ali Sokhela (Forest Whitaker über seine Rolle in „Zulu“), den leitenden Ermittler der Mordkommission von Kapstadt, zu werden, denn Gewaltverbrechen zählen schon zum Alltag im Südafrika von heute. Doch das Opfer ist diesmal eine junge weiße Frau, die totgeprügelt mitten in einer malerischen Parkanlage aufgefunden wurde. Zudem ist sie die Tochter eines bekannten ehemaligen Rugbyspielers, was dem Fall erhöhte mediale Aufmerksamkeit verschafft und die Polizei ein wenig unter Druck setzt – spurlos verschwundene schwarze Kinder aus den Elendsvierteln, die Sokhela schon eine Weile beschäftigen, sind dagegen Fälle, die nicht ganz oben auf der Agenda stehen. Also macht sich Sokhela mit seinem Kollegen Brian Epkeen (Orlando Bloom) und dem Teamneuling Dan Fletcher (Conrad Kemp) an die Arbeit. Schon bald kommt man dem Freund des Mordopfers, einem Mann aus dem lokalen Drogen- und Bandenmilieu, auf die Spur. Die Aufklärung des Falles scheint nur mehr eine Frage der Zeit zu sein – Routine eben. Doch im Verlauf der Ermittlungen kommt es völlig unerwartet zu einer Eskalation, die selbst die erfahrenen Polizisten mit der Wucht einer Naturgewalt trifft. Und schon bald erkennen Sokhela und Epkeen, dass sie mit weit mehr als einem Mordfall konfrontiert sind. Die Ermittler geraten im Laufe ihrer Nachforschungen in ein Geflecht aus Drogen, Gewalt, Big Business und finstersten Seiten der Geschichte Südafrikas. Die beiden kommen dabei nicht nur an ihre physischen und psychischen Grenzen, ihre Hartnäckigkeit bei den Nachforschungen wird immer mehr zu einer tödlichen Gefahr.
Jérôme Salle hat mit Zulu zunächst einmal einen Thriller von atemberaubender Intensität und atmosphärischer Dichte in Szene gesetzt, der allein damit zu den Genre-Arbeiten von allererster Güte zählt. Doch Salles Inszenierung gelingt es zudem auf kongeniale Weise, die Spannungsbögen eines Genrefilms mit dem zeitgeschichtlichen Hintergrund zu verweben. Beginnend mit der Eröffnungssequenz steht die schwierige Geschichte, die Südafrika durchlaufen hat, wie ein Menetekel im Hintergrund. Denn die Traumata, die das jahrzehntelange Unrechtssystem der Apartheid sowohl im kollektiven als auch im individuellen Gedächtnis verursacht hat, hinterlassen ihre Spuren. Wohl gelang es Nelson Mandela kraft seiner großen Persönlichkeit und der eigenen Lebensgeschichte, die tiefen Gräben, die das System der Apartheid aufgerissen hatte, zu überbrücken und einen einigermaßen geordneten und friedlichen Übergang zu einem demokratischen Staat zu ermöglichen. Mandelas Credo, dass dieser Weg nur durch Vergebung der Vergangenheit zu bewältigen sei, wurde zwar politisch weitgehend befolgt – etwa durch die Versöhnungskommissionen –, doch in den Köpfen der Menschen war dieser Prozess weitaus schwieriger umzusetzen.
Eine langfristige Auswirkung ist jene Atmosphäre von latenter Gewalt und die Geringschätzung menschlichen Lebens, die in Zulu auf bedrückende Weise spürbar wird und alle Schichten der Gesellschaft durchdringt. Und die Frontlinien verlaufen dabei längst nicht mehr nur zwischen verschiedenen Ethnien, sondern entwickeln sich – wie zumeist – aus sozialen Problemen und dem zunehmenden Gefälle Arm–Reich.
Anhand der drei Ermittler spiegeln sich geradezu prototypisch unterschiedliche Segmente der südafrikanischen Gesellschaft und deren Umgang mit der Vergangenheit ihrer Heimat wider. Ali Sokhela, der bereits als Kind Opfer der unter dem Apartheid-Regime herrschenden Gewalt wurde und dabei sein ganz persönliches Trauma davongetragen hat, folgt zunächst ganz dem Vergebungsgedanken Mandelas. Brian Epkeen setzt die Geschichte seiner Familie auf Seiten der Unterdrücker mehr zu, als er sich eingestehen mag, während Dan Fletcher das liberale Südafrika verkörpert. Alle drei werden im Verlauf der Ermittlungen gezwungen sein, ihre Positionen gründlich zu überprüfen und ihre Ansichten – teilweise auf sehr schmerzliche Weise – zu revidieren. Vor allem die grandiosen Leistungen von Forest Whitaker und Orlando Bloom machen dabei einen ganz wesentlichen Teil der Intensität von Zulu aus und sorgen dafür, dass die von ihnen gespielten Charaktere weit komplexer sind als die im Genre üblichen Figuren.
Whitaker changiert bei der Darstellung Sokhelas virtuos zwischen nach außen getragener Souveränität, Melancholie und jenen tiefen inneren Verletzungen, die erst nach und nach deutlich werden. Die Überraschung ist jedoch Orlando Bloom – im bisherigen Verlauf seiner Karriere zumeist auf mit positiven Eigenschaften besetzte Charaktere festgelegt –, der den versoffenen und desillusionierten Polizisten, der sich mit seiner impulsiven Art beruflich und privat meist selbst im Weg steht, unglaublich facettenreich und von der äußeren Erscheinung bis hin zur Selbstverleugnung zu gestalten versteht. Diesen großartigen Schauspielern im Zusammenspiel mit Salles kluger Inszenierung ist es geschuldet, dass Zulu auf mehreren Ebenen überzeugt. Als Genre-Arbeit tut er dies virtuos, als Drama vor einem zeitgeschichtlichen Hintergrund ebenso und auch die metaphorische Seite – die gegen Ende verstärkt hervortritt und sich um ewige Topoi wie Schuld und Sühne, Vergebung und Rache dreht – kommt zur Geltung, ohne je didaktisch oder gar moralisierend zu wirken. Dass Zulu nicht vorgibt, mit einfachen Antworten und Lösungen aufzuwarten, hebt den Film ein weiteres Mal über Genre-Grenzen hinaus und gibt vermutlich die Stimmungslage im heutigen Südafrika ziemlich exakt wieder.