Viggo Mortensen im Gespräch
Mister Mortensen, Sie kommen heute ja gar nicht barfuß zum Interview wie sonst gerne …
Viggo Mortensen: Ja. Ich habe heute Schuhe an, um einen guten Eindruck zu hinterlassen!
Ist „Green Book“ mit seiner warmherzigen Botschaft der passende Film in Zeiten von zunehmender Häme und
Zynismus?
Viggo Mortensen: Vermutlich schon. Ich habe jedenfalls noch nie so enthusiastische und emotionale Reaktionen des Publikums erlebt wie nach diesem Film. Beim Festival von Toronto war ich in drei Vorführungen, und jedes Mal herrschte große Euphorie. Dasselbe passierte in Zürich, wo man mich vor der zurückhaltenden Reaktion der Schweizer gewarnt hatte. Die Leute scheinen glücklich nach diesem Film.
Gibt es denn wirklich ganz und gar keine unzufriedenen Zuschauer?
Viggo Mortensen: Bei der Pressekonferenz meinte ein wohl ziemlich seriöser Journalist: „Das ist ja ein Unterhaltungsfilm!“ – gerade so, als ob Unterhaltung eine schlechte Sache sei. Dabei ist es sehr schwierig, einen Film zu machen, in dem die Leute lachen und mitfühlen können und gleichzeitig vielleicht zum Nachdenken über gesellschaftliche Themen gebracht werden. Für mich ist das eine erfrischende Art, wichtige Dinge anzusprechen, ohne einen Film mit belehrender Botschaft daraus zu machen.
Was macht die Geschichte des ungleichen Paares so faszinierend?
Viggo Mortensen: Es ist die alte Geschichte, die wir bisweilen vergessen: Egal, wie verschieden zwei Menschen auch sein mögen, wenn sie gezwungen sind, gemeinsam Zeit zu verbringen, werden sie zwangsläufig mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen sich entdeckten.
Wie bekannt ist dieses „Green Book“, der Reiseführer für Schwarze aus den sechziger Jahren?
Viggo Mortensen: Die meisten Leute in den USA, auch Afroamerikaner, haben von diesem Green Book nie etwas gehört. Ich selbst habe durch Zufall davon erfahren, als ich ein Kinderbuch verschenken wollte, in dem das erwähnt ist. Eigentlich war das Green Book als hilfreicher Reiseführer für Schwarze gedacht, damit sie in Hotels übernachten können, wo sie willkommen sind. Oder Orte meiden, in denen die „Sonnenuntergangs-Regel“ herrschte, wonach Schwarze nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr auf die Straße durften. Diese rassistischen Gesetze galten als völlig selbstverständlich, deswegen waren solche Ratgeber für Reisende durchaus sinnvoll.
Wie nahe stehen Sie dieser raubeinigen Figur, die ständig flucht, raucht und isst …
Viggo Mortensen: Bei jeder Figur, die ich spiele, versuche ich eine Zuneigung für sie zu entwickeln, was mit mehr oder weniger Stress verbunden sein kann. Ich würde nicht behaupten, diesem Tony Lip besonders nahe zu sein. Als ich das Drehbuch las, war ich ziemlich unsicher, ob das eine Rolle für mich sein könnte. Ich sagte zu Regisseur Peter Farrelly, er solle besser einen echten Italo-Amerikaner besetzen. Worauf er meinte, er wolle ganz bewusst nicht das tun, was man erwartet.
Zu diesem Konzept gehörte dann auch, auf Laien zu setzen?
Viggo Mortensen: Absolut. Der reale Bruder von Tony spielt meinen Vater im Film. Der Bruder der echten Dolores spielt deren Papa. Der Bruder von Nick gibt meinen Bruder. Die meisten von denen haben noch nie vor der Kamera gestanden. Entsprechend ging es etwas chaotisch zu, aber das fand ich wunderbar. Die älteren Herrschaften waren das Warten beim Drehen nicht gewohnt und haben sich wie selbstverständlich am Essen bedient – was die Assistenten zur Verzweiflung brachte, weil mit halbleeren Tellern etliche Anschlussfehler ausgelöst wurden. „Welche Anschlussfehler? Die Cannelloni schmecken prima“, hieß es dann oft. (Lacht.)
Essen spielt eine große Rolle in diesem Film.
Viggo Mortensen: Als ich die Familie von Tony zum ersten Mal traf, natürlich bei einem üppigen Essen, schwärmten sie von seiner Großartigkeit in den höchsten Tönen. Er war der beste Tänzer der Stadt. Er war ein begnadeter Sänger. Als bester Schwimmer überquerte er den Hudson River. Er verlor niemals ein Kartenspiel. Nach all diesen Aufzählungen fragte ich: Was machte Tony denn am liebsten? Darauf die Antwort: essen und rauchen. Und manchmal rauchen und essen zusammen.
Er hatte auch ungewöhnliche Serviervorschläge für Pizza, wie Sie auf dem Hotel-Bett vorführen …
Viggo Mortensen: Die umgeklappte Pizza ist authentisch. Sein Sohn Nick erzählte, wie der Vater in einem Lokal zwei Pizzen bestellte. Die eine ließ er schneiden. Die andere, für sich, nahm er immer am Stück und klappte sie zusammen. Das fand ich so faszinierend, weil ich es noch nie gesehen hatte. Ich bat Peter, die Klapp-Pizza unbedingt in den Film einzubauen, und schlug dafür die Szene im Hotel vor. Er meinte, das sei verrückt, und keiner würde das glauben. Aber er hörte auf meinen Vorschlag und fand diese Sequenz dann sehr überzeugend, weil sie so authentisch ist.
Wie sieht es mit Ihren visuellen Vorschlägen aus? Sie sind ja leidenschaftlicher Fotograf.
Viggo Mortensen: Unser junger Kameramann Sean Porter hat eine großartige Arbeit geleistet. Man fühlt sich wie in einem altmodischen Film, was auf ganz unaufdringliche Weise geschieht. Mein Vorteil als Fotograf liegt in ganz praktischen Dingen und nicht darin, anderen Vorschläge zu machen. Als Schauspieler ist es hilfreich zu wissen, mit welchem Objektiv eine Szene gedreht wird. Wenn ich die Lichtverhältnisse kenne, kann ich Objekte so halten, damit sie gut zur Geltung kommen.
Wie erleben Sie den ganzen Hype um den Oscar?
Viggo Mortensen: Man kann ohnehin nie vorhersagen, was passiert. Es gibt so viele Faktoren, die eine Rolle spielen. Das Timing. Die Qualität der anderen Filme. Das Werbebudget der Studios. Wenn der Film bei den Oscars berücksichtig wird, dann ist es großartig. Ansonsten freut mich bereits der Hype, denn das zeigt, die Leute mögen den Film und interessieren sich dafür.
Was halten Sie von der Idee, „Lord of the Rings“ zu einer Fernsehserie zu machen?
Viggo Mortensen: Davon habe ich erst vor kurzem gehört. Warum nicht – wenn es gut gemacht wird?