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once upon a time ... in hollywood

Dossier 1969 – Once Upon a Time … in Hollywood

Stadtgeflüster

| Pamela Jahn |
Quentin Tarantino hat seinen Liebesbrief an das alte Hollywood verfilmt – mit Herz und Seele, Mord und Totschlag, und jeder Menge Stars und Referenzen.

Es gibt Filme, die müssen sich ihren Kultstatus schwer erarbeiten. Müssen vernichtende Kritiken einstecken und an den Kinokassen gnadenlos scheitern, bis sie Jahre, mitunter Jahrzehnte später, endlich ihr Publikum finden – oder zumindest eine Fangemeinde, die den Kern ihrer Kunst zu würdigen versteht. Nicht so, wenn der Regisseur Quentin Tarantino heißt. Spätestens seit seinem bahnbrechenden Erfolg mit Pulp Fiction vor 25 Jahren fallen Tarantino-Filme in jene zweite Kategorie, nämlich die, in der ihnen ein Platz in der obersten Liga der Film-Kult-Klassiker quasi ins Drehbuch miteingeschrieben steht. Da wird bereits im Vorfeld so viel über das Werk geredet und gemunkelt, spekuliert und dementiert, dass man fast meinen möchte, man hätte das gute Stück längst gesehen, bevor es schließlich das Licht der Leinwand erblickt. Tatsächlich jedoch ist es immer wieder erstaunlich, wie geschickt der Regisseur selbst lautstark die Werbetrommel für seine Arbeiten rührt, ohne dabei allzu viele Details preiszugeben. Obwohl Once Upon a Time … in Hollywood schon lang in aller Munde war und jeder wusste, dass Leonardo DiCaprio, Brad Pitt und Margot Robbie die Hauptrollen spielen würden, konnte bis zur Premiere in Cannes im vorigen Mai keiner mit Bestimmtheit sagen, was genau die Zuschauer am Ende erwarten würde.

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Fangen wir also am besten dort an, wo noch größtmögliche Klarheit herrscht – am Anfang. Wir schreiben das Jahr 1969 in Los Angeles, der Stadt der Stars und der Engel. Hier strahlt die Sonne, sind die Frauen Flower-Power-schön und aus den Lautsprecherboxen der Heckflossen-Straßenkreuzer dröhnt die Musik der Woodstock-Ära von Hollywood bis Downtown LA. Es ist das Jahr der ersten Mondlandung und der letzten großen Kinowestern. Amerika ist stolz, weit und unantastbar. Nur eine Sache trübt das Bild: Wenige Tage nach Armstrongs Triumph im All lässt eine brutale Mordserie in Kalifornien die Nation erschüttern. Ihr berühmtestes Opfer ist die Schauspielerin Sharon Tate, die im Film von Robbie verkörpert wird und zu der Zeit mit Roman Polanski liiert und hochschwanger war. Mit ihr zusammen wurden damals vier weitere Opfer in einer blutigen Orgie mit Messern ermordet. Die Polizei brauchte eine Weile, bis die Tat eindeutig Charles Manson und seiner „Family“ zugeschrieben werden konnte. Kaum ein Jahr zuvor hatte der verfehlte Rockpoet und Sektenguru in der Spahn Movie Ranch ein Quartier für seinen Kult bezogen, wo in besseren Zeiten erfolgreiche Westernserien gedreht wurden – dazu später mehr.

Unterwegs in der Stadt ist zu eben jener Zeit der zunehmend verblassende Fernsehstar Rick Dalton (DiCaprio), der sich von seinem Stuntbuddy Cliff Booth (Pitt) im Chevrolet von A nach B chauffieren lässt, weil der sowieso gerade nichts Besseres zu tun hat und Rick sonst niemals pünktlich am Set erscheinen würde. Denn der ehemalige Western-Held befindet sich nicht nur karrieretechnisch auf dem absteigenden Ast, sondern ist auch in allgemeinen Lebenslagen hoffnungslos verloren und allein deshalb schon auf die Hilfe seines besten Kumpels angewiesen. Gemeinsam kurven sie durch die Straßen, cruisen von einem Filmset zum nächsten, verweilen hier, schauspielern ein bisschen dort. Dabei könnte die Kluft zwischen beiden Männern größer kaum sein. Während der selbstverliebte Schauspieler in seiner Villa in den Beverly Hills am Cielo Drive 10048, direkt neben der Polanski-Residenz wohlgemerkt, mit seinem Schicksal hadert und zunehmend Trost im Alkohol sucht, lebt sein Stuntman mit einem gezähmten Kampfhund in aller Bescheidenheit und Abgeschiedenheit in einem abgewrackten Trailer in den Bergen über der Stadt. Ihre innige Freundschaft, die irgendwo zwischen „more than a friend and less than a wife” changiert, basiert auf besseren, vergangenen Zeiten sowie auf der endlosen Gutmütigkeit, die Cliff an den Tag legt, solange man seine stählernen Nerven nicht überstrapaziert – aber auch dazu später mehr.

Neben Figuren und Rahmenhandlung darf man bei einem Tarantino-Film auch ein drittes und vielleicht das wichtigste Element überhaupt nie aus dem Auge verlieren: den Regisseur selbst. Unter Rücksichtnahme dessen kann man dem Kultfilmer zunächst einmal zugutehalten, dass seine Hommage an die US-amerikanische Filmindustrie mit so viel Begeisterung und Leidenschaft gedreht ist, wie man es von dem heute 56-Jährigen nicht anders erwartet hätte. Tarantino ist ein Kind Hollywoods und schon lange nicht mehr aus dem Betrieb wegzudenken. Und wenn er sich dafür jetzt mit einem filmischen Liebesbrief bedankt, gibt es daran zunächst nichts zu beanstanden. Die endlose Hingabe Tarantinos für alles, was Hollywood einmal war, färbt auch in Once Upon a Time … in Hollywood immer wieder ab und sorgt dafür, dass ein Funke an Emphase überspringt, noch bevor sein Film überhaupt richtig die Augen aufgeschlagen hat.

Die Probleme werden jedoch sichtbar, je mehr man an der sonnengebräunten, mit jeder Menge Stars dekorierten und gefühlt grenzenlosen Oberfläche, in die Tarantino seine Hollywood-Euphorie einhüllt, zu kratzen beginnt, wenn man in dem hundertsechzigminütigen Movie-Schmaus – bei aller Faszination für den Italowestern, das Kino wie ein Leben in und um Hollywood – nach Stringenz und Konsequenz in der Umsetzung sucht. Tarantino kostet aus, was geht, weshalb der Film auch nicht ohne Abstriche zu empfehlen ist. Vor allem das große Finale, der Showdown, auf den er auch diesmal nicht verzichtet, wirft die Frage auf, inwieweit Tarantino sich bei allem Zitat- und Ausstattungsaufwand tatsächlich mit der Brutalität der Manson-Morde auseinandergesetzt hat, und ob sein leichtfertiger Ansatz, der ihm bereits in Inglourious Basterds heftige Kritik einbrachte, letztendlich gerechtfertigt ist. Viel stärker und überzeugender tritt der Film auf, wenn es darum geht, auf besagte Nacht der langen Messer hinzuarbeiten, wenn zum Beispiel Cliff irgendwann mit einem von Mansons Blumenkindern im Schlepptau auf der Spahn Ranch landet und die Situation bis kurz vor Torschluss auslotet. Die Szene gehört zu den beeindruckendsten Momenten des Films und zeigt, dass Tarantino sein Gespür für perfektes Timing nicht verlernt hat, auch wenn es ihm mit zunehmender Laufzeit immer schwerer zu fallen scheint, die Zügel fest in der Hand zu halten.

Vielleicht hatte Tarantino das im Hinterkopf, als er den anwesenden Journalisten vor der Premiere in Cannes ausrichten ließ, sie mögen in ihren Kritiken bitte nicht allzu viel verraten, um dem späteren Publikum den Spaß nicht zu verderben. Diejenigen, die den Film sehen wollen, sollten ihn schließlich auch ohne Vorbehalt und vorgefertigte Meinungen genießen können. Schon recht. Nach dem Debakel, als damals das Drehbuch zu The Hateful Eight seinen Weg ins Internet fand, noch bevor es überhaupt fertig war, kann man ihm seine Paranoia im Hinblick auf Spoiler und die Enthüllung von Plot-Twists keineswegs verübeln. Dennoch sollte auch ein Quentin Tarantino so viel Rückgrat besitzen, sich einzugestehen, dass auch ein Wunsch- und Herzensprojekt wie Once Upon a Time nicht ohne Mängel auskommt. Die Verdichtung der Handlung auf den Zeitraum von zwei Tagen war eine clevere Idee, aber was hier in 48 Stunden geschieht, das geht im Grunde auf keine Kuhhaut. Tarantino kann sich glücklich schätzen, dass er mit DiCaprio, Pitt und Robbie so hervorragende Darsteller für seine drei zentralen Figuren gewählt hat. Sie sind ihm nicht nur freundschaftlich verbunden, sondern setzten auch alles daran, etwaige Längen und Schwachstellen im Drehbuch mit schauspielerischer Exzellenz und Lässigkeit zu übertünchen. Vor allem Pitt macht in dieser Hinsicht eine hervorragende Figur und erntete in Cannes dafür Szenenapplaus.

Es wäre ein Einfaches, den Film als selbstverliebtes, mit Referenzen bespicktes Kostümstück abzutun, denn im Grunde ist Once Upon a Time genau das, wie so vieles andere auch: Ein tarantinoesker Wink zu Sergio-Leone-Klassikern wie Once upon a Time in the West und Once upon a Time in America, eine Verbeugung vor Hollywood, eine Revue der eigenen Kindheitserinnerungen und immer wieder eine Stadtgeschichte. Denn neben Sharon, Dick und Cliff kommt auch Los Angeles eine besondere Rolle im Film zu, die Tarantino sinnlicher zeichnet als alle anderen Figuren. Vom Hollywood Boulevard über Ami-Schlitten bis zu Postern, Reklametafeln, Kinofronten, Restaurants und Bars, alles strahlt, alles leuchtet und wurde von Tarantinos Stamm-Kameramann Robert Richardson gewohnt brillant in Szene gesetzt. Und natürlich dürfen auch die Stars der Stadt niemals fehlen, ob Steve McQueen (Damien Lewis) hier, oder Bruce Lee (Mike Moh) dort. Manchmal schaut sich dieser Film wie ein großer Städteroman, in dem sich James Ellroy und Thomas Pynchon die Klinke in die Hand geben.

Die bedingungslose Liebe Tarantinos zu seinem Sujet trägt Once Upon a Time über seine bisweilen unnötig ausgedehnte Laufzeit hinweg. Die Kulissen, die Partys, die ausgespielten Filmszenen im Film hüllen den Kinosaal in einen Hauch von Nostalgie und Hollywood-Romantik, welche erst ganz am Schluss abrupt und mit unverhoffter Brutalität gebrochen wird. Trotzdem bleibt der Meister des Zitat-Kinos seinem Werk, seiner Seele und seinem Herzen treu. Ob man ihn dafür verurteilen möchte oder nicht, bleibt jedem selbst überlassen. Fest steht, dass auch sein neunter Film ein Kult-Klassiker ist … heute und morgen.