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Woodstock

Dossier 1969 – Soundtrack „Once Upon a Time ... in Hollywood“

Aus dem Vollen

| Jörg Becker |
Der Soundtrack zu Quentin Tarantinos neuem Film: ein Füllhorn an zeitgenössischen Schätzen der späten sechziger Jahre. Plus: ein Exkurs zum Jahr 1969, dem wohl prägendsten und reichhaltigsten in der Geschichte des Pop.

Im Soundtrack zu Once Upon a Time … in Hollywood setzt Quentin Tarantino eine breite Spanne von musikalischen Quellen ein, die zur Zeit der Handlung, gegen Ende der Sixties, in the air gewesen, aus den Juke Boxes gekommen sein, zur Atmosphäre jener Phase gehört haben mögen. Es sind Songs von sehr unterschiedlichem Einfluss. Dazu gehören Ausschnitte aus Spaghetti-Western-Scores ebenso wie auch heute kurios erscheinende Proben von „Stock Music“, einem anonym erscheinenden Konservensound, der die zeitgenössischen Hörer wohl vorwiegend unterschwellig erreichte, pausenbegleitend, in Vorbereitung von Events („preview of coming attractions“), und der in tieferen Depots unseres Gedächtnisses endgelagert wird – bis zur unerwarteten Wiedererweckung als „obscure classics“ in Tarantinos Filmen.

Obskure Klassiker

Spaghetti-Western-Atmosphären: Aus dem Film Dynamite Jim (Alfonso Balcázar, 1968) ist eine aufputschende Vokal-Orchester-Musik der Cantori Moderni Alessandro Alessandroni zu hören, an anderer Stelle ein Flöten-Lauten-Klang im höfischen Stil, dem Film The Man Called Apocalypse Joe (Leopoldo Savona, 1971) entnommen, zu dem Bruno Nicolai die Musik schrieb. Ein Matador der Italo-Western-Filmmusik, Francesco DeMasi, ist mit Stücken aus den Filmen Sartana Does Not Forgive (Alfonso Balcázar, 1968) sowie Any Gun Can Play (Enzo G. Castellari, 1968) vertreten, letzteres ein lyrischer Gitarrenklang im mexikanischen Stil, zur Szene einer verlassenen Westernstraße, in Phase der Ruhe, vor dem Spannungsaufbau, in Erwartung des großen Shootouts.

Zu den obskuren Klassikern zählt insbesondere die „Funky Fanfare“ von Keith Mansfield, einem bereits in den Credits von Kill Bill und Death Proof vertretenen Filmmusik-Komponisten und Arrangeur, der „Stock Music“ für alle Gelegenheiten schrieb  (unter dem Titel „Flamboyant Themes“, 1968, findet sich etliches – schmissiger Orchestersound, Arrangements im Old-School-Stil, Pop im Konfektionskostüm, diverse Atmosphären und Füllsound für Übergänge und Intermezzi unterschiedlicher Gefühlslagen. „This used to be the Intermission Music at the Drive-In“, so steht es in einem YouTube-Kommentar – „with Dancing Popcorn and floating Candy Bars …“

Live-Happenings

„Give me a ticket for an airplane / I ain’t got time to take no fast train…“ Der Wayne-Carson-Hit „The Letter“ von The Box Tops (1967) aus Memphis, sogenannter „Blue-Eyed Soul“, wurde 52 mal gecovert und ist Bestandteil des Soundtracks in der Version von Joe Cocker, der 1968/69 mit dem gecoverten John Lennon-Titel „With a Little Help From My Friends“ seinen großen Durchbruch erlebte. Sein gestenstarker Auftritt am dritten Tag des Woodstock-Festivals gilt nicht nur als die Geburtsstunde des Luftgitarrenspiels, er zählt neben Jimi Hendrix’ „Star-Spangled Banner“-Version der US-Nationalhymne wohl zu den Höhepunkten des Festivals vom August 1969, wobei man die Performance von The Who, die einen beträchtlichen Werbeeffekt für ihre Rockoper „Tommy“ erzielten, die mehrstündig dahindriftenden Auftritte der Grateful Dead zwischen Bluegrass, Folk und Space Rock sowie die rasend schnellen britischen Bluesrocker The Ten Years After keinesfalls unerwähnt lassen sollte. Cockers folgende „Mad Dogs & Englishmen“-Tournee (Leitung: Leon Russell, von dem auch der Titel „Delta Lady“ stammt) durch 48 Städte der USA erschien als gleichnamiges Album mit zahllosen, von Soulfeeling erfüllten Cover-Versionen (Leonard Cohen, Bob Dylan, Lennon/McCartney, Dave Mason etc.), es vermittelt die sympathisch-abenteuerliche Chaos-Atmo eines großen Zirkus auf Tour und einen Eindruck davon, wie es sein mag, allabendlich mit über 30 Leuten die Bühne zu teilen.

Mit „Straight Shooter“ ist ein Stück aus dem Debütalbum von The Mamas and the Papas (1966) vertreten, bei Tarantino aber in der Version von José Feliciano. Die Gruppe, berühmt u.a. wegen „Monday, Monday“ und „California Dreamin’“, trat im Juni 1967 beim Monterey Pop Festival auf. Ebenfalls zu hören ihr Titel „Safe in My Garden“ (Single und Album 1968), ein Meilenstein des „Sunshine Pop“ der Flower-Power-Ära, den die Gruppe wie keine andere verströmte – ein allverbindendes Love-and-Peace-Gefühl, in arglosen Westcoast-Harmonien und langsamem Rhythmus: „Safe in my garden / An ancient flower blooms / And the scent from its nature / Slowly squares my room …“

Ein Song der kommerziell sehr erfolgreichen Vokalgruppe The Supremes (Motown/Detroit, mit Soul-, Gospel-, Call-and-Response-Elementen) aus dem Jahr 1966, „You Keep Me Hangin’ On“ findet sich bei Tarantino in der legendären Cover-Version von Vanilla Fudge (1967), die wie in Zeitlupe das ursprüngliche Tempo des Songs um die Hälfte verlangsamt und damit auf hinreißende Weise zu dehnen und intensivieren vermag. „We initially wanted to be a Vanilla Fudge clone“, erklärte einmal der damalige Deep-Purple-Gitarrist Ritchie Blackmore, was allein schon aufgrund des bestimmenden Hammond-Orgel-Klangs einleuchtet, der von Jon Lord weitergetrieben wurde. Vom Debütalbum „Shades of Deep Purple“ (1968) findet sich „Hush“ im Tarantino-Soundtrack. Deep Purple, Pioniere des Heavy Metal mit eingängigen Riffs, eignete der Ruf als lauteste Popgruppe der Welt. Der zeitweilige ambitionierte Versuch, Klassik und Rock zu kombinieren – der klassisch ausgebildete Jon Lord schrieb ein „Concerto for Group and Orchestra“, das man mit dem Royal Philharmonic Orchestra in der Royal Albert Hall aufnahm –, wurde nicht fortgesetzt; anscheinend befürchtete man einen Imageverlust als Rockband. Auf ihrem Album „Deep Purple III“ (1969) finden sich mit „April“ Anklänge daran. Zudem gab innerhalb der ästhetischen Sektion Jazz-Rock-Classic der progressiven Musik seit 1967 die Band Nice, in der Pianist Keith Emerson mit rauem Orgelsound Bach, Sibelius oder Leonard Bernstein einfließen ließ, den Ton an. Ab 1970 wurde daraus Emerson, Lake & Palmer.

Aus der High-School-Cafeteria-Jukebox

Von Paul Revere & the Raiders, die im US-Mainstream erfolgreich waren und in Nachtclubs in San Francisco spielten, mit perfekten Pilzkopf-Frisuren und gekleidet in Uniformen des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges, sind gleich drei Single-Hits von 1966 („Kicks“, „Hungry“ und „Good Thing“) im Soundtrack vertreten. Letzterer lässt in den Harmonien und Backing Vocals deutlich den Einfluss der Beach Boys erkennen. „This song lifts my spirit & puts me in a great mood“: Dieser Kommentar auf YouTube sagt es, wie es ist. Atmosphärisch nicht weit davon liegt „Bring a Little Lovin’“ von Los Bravos (1968), ein One-Hit-Wonder, das 1992 in einer spanischen Version von Ricky Martin gecovert wurde.

Darüber hinaus enthält der Soundtrack „Treat Her Right“ von einer der erfolgreichsten Rock-and-Roll-Bands aus Texas, Roy Head and the Traits, ein Titel, der 1965 eine Zeitlang in den Charts hinter „Yesterday“ und vor „A Hard Day’s Night“ von den Beatles auf Platz 2 rangierte. Vom ersten Studioalbum (1969) der Rockband The Bob Seeger System aus Detroit zu hören ist „Ramblin’ Gamblin’ Man“, ein Drei-Akkord-Hit, geprägt von Backing Vocals und dem seinerzeit vertrauten Klang der Hammond B-3 Orgel („This song played on a loop in our high school cafeteria jukebox in 68’-69’, but it rocks!“). Aus derselben Gegend kommt die Band Mitch Ryder & The Detroit Wheels, die mit „Jenny Takes A Ride“ ultimative schnelle Tanzmusik bietet. Der Titel „Can’t Turn You Loose“ lässt einen den „White King of Soul“ (wieder)entdecken: Wayne Cochran and the C.C. Riders, gewissermaßen der weiße Zwillingsbruder von James Brown, in dessen Show er auch gelegentlich auftrat. Das Stück von Otis Redding (1965; gecovert 1970) wirkt als ekstatisch elektrisierende Bewegungsmusik mit explosivem Bläser-Set.

Einen losgelösten Gute-Laune-Sound verströmt „Sweet Blindness“ von der Vokalgruppe The 5th Dimension (Album: „Stone Soul Picnic“, 1968), jene Gruppe aus Los Angeles, die mit „Up Up And Away“ in eine konsumistische Escape-Schwerelosigkeit versetzte und 1969 Lieder aus dem Musical „Hair“ höchst erfolgreich zu einem Medley („Aquarius“ / „Let The Sunshine In“) zusammenfasste. Weiters zu hören: der sensible Sound von Simon & Garfunkel mit „Mrs. Robinson“ aus dem Grammy-ausgezeichneten Album „The Graduate“ (1968), die Rolling Stones mit „Out Of Time“ vom Album „Aftermath“ (1966); und – im Sommer 1966 in den Charts – eine auch im Vergleich mit den Versionen von Janis Joplin oder John Coltranes Instrumentalversion von 1960 noch umwerfende, völlig eigenständige Fassung der „Porgy-and-Bess“-Arie „Summertime“ (Gershwyn/Heyward) von dem Rhythm&Blues-Sänger Billy Stewart (1937–1970), der bei diesem Stück Scat-Gesang – also die Stimme so einzusetzen, das sie instrumentale Phrasen rein lautlich mit Silben nachahmt – zu einer Kunstform macht.

1969: Heaven and Hell

Schon der Anfang des Jahres 1969 stand für manche Bands auf der Suche nach Entfaltung und Entwicklung ihres Sounds im Zeichen der Auflösung bzw. Umgruppierung. So erschien das Album „Goodbye Cream“ mit Teilen des  Abschiedskonzerts der ersten „Supergroup“, in der mit Ginger Baker, Jack Bruce und Eric Clapton aus der Londoner Szene Jazz und Blues im elektrisch verstärkten Trio zusammentrafen. „The songs we play are unimportant“, erklärt Jack Bruce in dem TV-Film von Tony Palmer, „just jumping-off-points for improvisation… in between that can go on forever.

Cream – The Last Concert wurde am 5. Januar 1969 auf BBC im Kunstkontext ausgestrahlt – „Cream were then thought worthy of consideration alongside Debussy and Picasso“ (Tony Palmer). Ausschlaggebend für die Trennung der Band dürfte neben schierer Erschöpfung und persönlichen Friktionen aufgrund endloser Tourneen auch ein sich einschleichendes Unbehagen gewesen sein, das Clapton mit den Worten „…the music was not honest“ ausdrückte. In der Phase der Trennung befand sich nach „Yellow Submarine“, dem Soundtrack-Album zu dem gleichnamigen Animationsfilm (1968), auch die erfolgreichste Band der Musikgeschichte, The Beatles, die für ihr elftes Studioalbum „Abbey Road“ letztmalig alle zusammen im gleichnamigen Londoner Studio aufeinandertrafen; am 8. August 1969 gingen die Beatles in einer Aufnahmepause über den Zebrastreifen. Das Album aus 17 kurzen Stücken demonstriert eines der rareren Beispiele von George Harrisons Kompositionstalent – „Something“ –, das mit Lennons „Come Together“ als Single ausgekoppelt wurde. John Lennon, dem Yoko Ono nicht von der Seite wich, hatte sich von Paul McCartneys „music for the grannies to dig“, wie Lennon es nannte, längst abgesetzt.

Jazz und Rock von elektronischer Kontinuität in stundenlangen Sets – dafür stand die Formation Soft Machine, welche die Erlaubnis zur Verwendung des Romantitels (1961) als Gruppennamen in Paris von William S. Burroughs selbst erhalten hatten. Anfangs mit kompakten Formaten aus Popsongs, Tonbandcollagetechniken und Lightshows, traten sie neben der Gruppe Pink Floyd als Hausband des „Ufo-Club“ in London auf. „The compositions are spaced with improvisations from drum and organ und punctuated with songs“, so der Soft Machine-Organist Mike Ratledge. Die Band spielte, noch als Trio, auf Tourneen mit Jimi Hendrix als Vorgruppe, und besaß eine Fangemeinde von Kennern in Frankreich, und wenn man liest, Drummer/Sänger Robert Wyatt habe dem Journalisten von „The Village Voice“ auf einer Fahrt entlang der Côte d’Azur Note für Note Charlie Parkers Bop-Solo aus „Donna Lee“ vorgesungen, glaubt man es sofort. „Volume Two“ (1969, mit Titeln wie „Dada Was Here“ oder „Thank You Pierrot Lunaire“), komplizierter gebaut, von ungerader Metrik, instrumental teils psychedelisch, teils von Jazzdynamik getrieben, ist wie ein einziges, sich sprühend entfaltendes Stück mit magischen Melodien, bizarren Gesangseinsätzen und einem wie von Bienensummen erfüllten Orgelsound, der immer wieder in ausgedehnte, verzerrt-raue, aggressive Solopassagen driftet. Das kurz nach einem Auftritt in Amsterdam als Bootleg kursierende Album „Soft Machine: Live at the Paradiso 1969“ demonstriert, wie die Song-Konstrukte aus dem Studio zu einem durchgehenden, von langen Soli-Improvisationen erfüllten suitenhaften Konzert verschmelzen.
Pink Floyd indessen, deren Name bald nach ihrem Debütalbum „Piper at the Gates of Dawn“ 1967 zum Synonym für „Psychedelic“ wurden („sounding like dying galaxies lost in sheer corridors of time and space“), hatten im Frühjahr 1969 ihre Soundtrack-Aufnahmen für den Film More (Barbet Schroeder) abgeschlossen, nahmen nun Live-Auftritte für ihr viertes (Doppel)-Album „Ummagumma“ auf, das aus seitenlangen Takes, vielleicht der eigentlichen Sound-„Offenbarung“ dieser Band, und völlig voneinander unterschiedenen Solo-Kompositionen eines jeden Bandmitglieds besteht. Ende des Jahres 1969 folgten die Arbeiten am Soundtrack für Zabriskie Point (1970) von Michelangelo Antonioni.

Studioaufnahmen und Freiluftkonzerte

„Please allow me to introduce myself / I’m a man of wealth and taste.(…)“ Den Songtext scheint Mick Jagger aus satanistischer Perspektive auf die Weltgeschichte, die bekanntlich ein Schlachthaus ist, entworfen zu haben und so wie nebenbei zu demonstrieren, dass er im Fach Geschichte aufgepasst hatte. Das erste Stück des Albums „Beggars Banquet“ erscheint in One Plus One (1968) von Godard, gefilmt im Tonstudio, in fünf verschiedenen Fassungen, die nicht der endgültigen entsprechen. Man sieht den Song im Entstehen, in scheinbar müheloser musikalischer Verständigung. 1969 produzieren die Stones das Album „Let It Bleed“ rechtzeitig zur US-Tournee Ende des Jahres, als Single daraus: „Honky Tonk Women“, und von der Tournee erscheint im Folgejahr das Live-Album „Get Yer Ya-Ya’s Out“. Der Gitarrist Brian Jones, an dessen Kopf die Kamera in One Plus One vorbeigefahren war, „wie Kubrick eine Kamera durch den Weltraum hat fahren lassen“ (Wim Wenders, „Filmkritik“, Juli 1969) hatte im Juni 69 die Band verlassen, im Juli fand man ihn ertrunken in seinem Pool. Ein Free Concert im Londoner Hyde Park nach über zweijähriger Bühnenabstinenz der Stones sollte zur Einführung von Gitarrist Mick Taylor dienen, der aus John Mayalls britischem Blues-Sammelbecken, den Bluesbreakers, dazustieß, wurde aber eher zu einer Gedenkveranstaltung für den Verstorbenen. Bezeichnenderweise sind auf der Filmdokumentation von Leslie Woodhead und Jo Durden-Smith (The Stones In The Park 1969) alle anderen dort aufgetretenen Gruppen des Freiluftkonzerts ignoriert, darunter solche Institutionen aus der Bluesszene wie Alexis Korner oder die im selben Jahr gegründeten Progressiv-Rocker King Crimson.
Das Festival auf dem Altamont Freeway in Tracy, Kalifornien, 6. Dezember 1969, wird man immer mit einer Gewalttat in Verbindung bringen, dem ein Besucher während des Auftritts der Stones zum Opfer fiel. Die Umstände sind in der Doku von Albert und David Maysles, Gimme Shelter (1970), enthalten, die überwiegend den Auftritt der Stones samt Bühnenchaos und Unterbrechungen ins Bild setzen, und schon die Impressionen vom Auftritt der Jefferson Airplane, die zeitweilig abbrechen mussten, verströmen eine gefährlich hochkochende gewaltsame Atmosphäre, für die man vor allem die als Security engagierten Hell’s Angels verantwortlich sah.

John Cale, Musiker des von Andy Warhol produzierten Albums „Velvet Underground & Nico“, der „Bananen-LP“, war mit dem Sound der Band, der erst in der kommenden Dekade zur Wirkung kommen sollte, far ahead, was auch für das Debütalbum von The Stooges (1969) gilt, das von Cale produziert wurde und zunächst ein kommerzieller Flop war. Protopunk wie „I Wanna Be Your Dog“, auch Stücke aus „Fun House“ und „Raw Power“ wurden nach 2009 von den wieder formierten Iggy And The Stooges („Ready To Die“, 2013) vielfach live re-interpretiert. Zum Protopunk gehören auch die energetischen Garage-Hard-Rocker MC5 um Sänger Rob Tyner aus dem Großraum Detroit, deren Live-Debütalbum „Kick Out The James“ 1969 erschien. Die Gruppe Black Sabbath, zu ihrem Namen vom englischen Verleihtitel des Mario Bava-Films I tre volti della paura (1963) inspiriert, spezialisierten sich auf das Doom-Metal-Genre, und Hawkwind auf den Space Rock in der Acid Szene. Im selben Jahr debütierten Led Zeppelin mit zwei Alben, wobei „Led Zeppelin II“ mit seinem Heavy-White-Guitar-Blues-Rock/Hard-Rock, der von Jimmy Pages gehackten Riffs geprägt war, in den US-Charts „Abbey Road“ vom Platz eines verdrängte.

Bewegungen in den freien Raum

Man kann 1969 musikalisch als ein Jahr des qualitativen Sprungs bezeichnen, mit zahlreichen Übergängen auf der kreativen Suche und einer Weiterentwicklung des Sounds. Von zentraler Bedeutung erscheint der Verbindungssinn der Akteure beim Gespür für das Neue: Genres werden gemischt, innovative Kraft entfaltet alles, was mit dem Begriff „Fusion“ gefasst ist, primär die Fusion von Jazz und Rockmusik: Das in den Columbia-Studios aufgenommene Album „In A Silent Way“, dem Pianist Joe Zawinul, noch vor dem Begriff „Weltmusik“ mit Weather Report der Pionier der Folgejahre, durch sein Titelstück die Signatur verlieh, kann womöglich als ein erstes Fusion-Album betrachtet werden, ein großer ästhetischer Schritt, mit dem sich Miles Davis gewissermaßen in den freien Raum bewegt hatte. Mit den „Bitches Brew“-Studio-Sessions im August 1969 – kurz vor der Aufnahme im Studio hatte er Teile seiner Kompositionen im Juli auf dem Newport Jazz Festival gespielt – war das Initial der Jack-Rock-Fusion aufgenommen, ein Bruch mit Jazztraditionen, der kommerziell erfolgreich war – es sind über einer sich wiederholenden Begleitfigur – „Vamp“ – ausgebreitete, elektrisch verstärkte Kollektivimprovisationen, die auf Rockbeat beruhen, Bluestraditionen und afrikanisches Erbe reaktivieren und einer befreiten E-Gitarre (John McLaughlin) Raum geben. Ausformuliert wurden diese musikalischen Fusion-Vorstöße in der Folge von Davis-Bandmitgliedern wie Tony Williams, John McLaughlin, Wayne Shorter, Joe Zawinul u.a., aber auch von Frank Zappa („Hot Rats“, 1969), die großen Fusion-Beispiele waren in jenem Jahr im Entstehen, etwa Carla Bleys „Escalator Over The Hill“ (Jazz Composer’s Orchestra, deren Aufnahmen zwischen Kurt Weill und Free Jazz, Ethno-Sound und Country alles enthalten), oder sie kamen, wie Miles Davis’ Live-Editionen, im Folgejahr auf den Markt. Es musste sich erst verbreiten, doch schien alles schon angelegt gewesen zu sein.