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John C. Reilly über Stan & Ollie

Stan & Ollie

Der talentierte Mr. Reilly

| Pamela Jahn |
John C. wer? Man kennt den dichten Lockenkopf, das markante Gesicht, die felsenfeste Statur. Und doch versteht es der grandiose Schauspieler wie kaum ein Zweiter, auf der Leinwand wie im Leben im ewigen Schatten seiner Kollegen zu wandeln. Für seinen neuen Film „Stan & Ollie“ ist John C. Reilly jedoch gern ein Stück weiter ins Rampenlicht gerückt. Ein Gespräch über Buddy-Movies, richtiges Timing und die Kunst, zehn Sekunden lang auf der Bühne zu schweigen.

Fast wehmütig deutet John C. Reilly aus dem Fenster auf den Platz unten vor dem Haus. Bei einer Tasse Tee im Londoner Savoy kommen plötzlich die Erinnerungen an die Dreharbeiten wieder hoch: „Wissen Sie noch die Szene, als die beiden Ehefrauen ankommen und Steve und ich den Gag mit den Autotüren aufführen? Die haben wir hier gefilmt, direkt unter der Markise, in der Auffahrt zur Rückseite des Hotels.“ Dann schmunzelt er und nimmt noch einmal einen ordentlichen Schluck  Earl Grey aus der Porzellantasse, um sich wieder ganz auf das Gespräch zu konzentrieren. Immerhin geht es um Stan & Ollie, das liebevolle Biopic von Regisseur Jon S. Baird und die sagenhafte Verwandlung Reillys in Oliver Hardy, den korpulenten Teil des zweifellos berühmtesten Komiker-Duos der Filmgeschichte. Steve Coogan als Stan Laurel hatte es zumindest physiognomisch einfacher, doch meistert er mit Bravour und großem Einfühlungsvermögen auch die Einfältigkeit und Naivität, die Laurel als die „doofe“ Hälfte des Paars im Lauf ihrer Karriere unermüdlich perfektionierte – von den ersten Erfolgen in Hollywoods Stummfilmzeit bis in die Spätphase ihres Schaffens Anfang der fünfziger Jahre. Als ihr Ruhm langsam aber sicher zu verblassen drohte, machten sich die beiden Komiker 1953 zu einer letzten großen Theater-Tournee durch Großbritannien auf, und genau an dieser Stelle setzt Bairds Film ein und nimmt die Tragikomik des Lebens ihren Lauf. Denn die von kreativen Unstimmigkeiten und gesundheitlichen Problemen geprägte Reise zehrt derart an der langjährigen Freundschaft des brillant ungleichen Paares, dass die Reise schon recht bald in einem Desaster zu enden droht.

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Für Reilly war die Rolle des bodenständigen, besserwisserischen Hardy ein Geschenk des Himmels, sagt er, der heute vielleicht der größte zweite Mann in Hollywood ist, oder besser: der bescheidenste, unaufdringlichste und geduldigste erste. Denn so gelassen wie Reilly auf seinen großen Auftritt wartet, möchte man ihn manchmal am liebsten auf die Oscar-Bühne schubsen. Seit seinem Filmdebüt in Brian De Palmas Kriegsdrama Casualties of War Ende der achtziger Jahre arbeitete sich der damalige Endzwanziger langsam aber stetig als Charakterdarsteller nach oben. Vor allem die wiederholte Zusammenarbeit mit Paul Thomas Anderson in Hard Eight (1996), Boogie Nights (1997) und Magnolia (1999) sowie die Academy-Award-Nominierung für seinen Auftritt in Chicago (2002) gaben ihm schließlich auch international ein stärkeres Profil, nur die Hauptrollen blieben weiterhin aus. Es folgten immer öfter Engagements mit renommierten Regisseuren wie Martin Scorsese (Gangs of New York, Aviator), Robert Altman (A Prairie Home Companion) und Roman Polanski (Carnage), die allesamt Reillys Potenzial erkannten und ihn trotzdem nicht recht ins Zentrum zu rücken vermochten. Seine Film-Brüderschaft mit Will Ferrell in Adam McKays Step Brothers (2008) und weitere Comedy-Inkarnationen des Duos besiegelten schließlich seinen Ruf als Hollywoods ultimativem Sidekick. Stan & Ollie vermag daran vermutlich genau so wenig zu ändern wie Jacques Audiards exzellenter Western The Sisters Brothers, in dem Reilly an der Seite von Joaquin Phoenix als unberechenbarer Bruder mit Mordauftrag durch die Prärie reitet. Eines jedoch ist sicher: John C. Reilly ist eine der erstaunlichsten Erscheinungen im gegenwärtigen Filmgeschäft: endlos wandelbar, begabt, abenteuerlustig, klug und sympathisch zugleich – und obendrein: ungeniert komisch.

 


 

Mr. Reilly, neben „The Sisters Brothers“ und „Holmes & Watson“ ist „Stan & Ollie“ Ihr drittes Buddy-Movie in Folge. Es scheint fast so, als versuchten Sie einen persönlichen Rekord aufzustellen?
John C. Reilly: Vergessen Sie Ralph Breaks the Internet nicht, der ebenfalls ein Duo-Film ist, zwischen mir und Sarah Silvermann.

Stimmt. Damit wären wir bei vier Filmen in einem Jahr. Kann man das noch Zufall nennen?
John C. Reilly: Ja, es hat sich einfach so ergeben. Ich schwör’s. Aber ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Es passiert natürlich nicht zum ersten Mal in meiner Karriere, dass sich die Buddy-Movies häufen. Aber dahinter steckt kein Plan, auch keine Absicht. Es liegt wohl einfach daran, dass ich irgendwie gut in diese Art von Filmen hineinpasse. Manchmal sucht man nach einem bestimmten Engagement, und ein andermal sucht einen eben der Job. Und mittlerweile bin ich, glaube ich, ganz gut darin, zu erkennen, wer ein Platzhirsch und wer der bessere Sidekick ist – Alpha- und Beta-Typen, damit kenne ich mich aus. Ich kann gut mit Leuten umgehen, die Raum brauchen, aber das heißt nicht, dass ich mir nicht auch den Raum nehme, wenn ich es für wichtig und richtig halte. Vielleicht ist das mein besonderes Talent und ein Grund dafür, warum mir immer wieder Rollen wie diese angeboten werden. Ich kann mich zumindest nicht daran erinnern, jemals bewusst die Entscheidung getroffen zu haben: Von jetzt an nur noch Buddy-Movies! Wahrscheinlich war es einfach Glück. Denn wenn man einmal überlegt, mit wem ich über die Jahre zusammenarbeiten durfte, kann man es nicht anders nennen.

Diesmal spielen Sie an der Seite von Steve Coogan und die Chemie zwischen ihnen beiden ist famos.
John C. Reilly: Steve ist einer der komikbegabtesten Menschen, der mir je untergekommen ist. Er ist, was das Verständnis und das Funktionieren von Komik angeht, ein wahres Genie seiner Zeit. Man sagt das immer so leicht, aber ohne ihn hätte ich diesen Film nicht machen können. Denn viele der Comedy-Nummern, die Sie im Film sehen, mussten wir eigenhändig erarbeiten. Nichts davon stand im Drehbuch. Der Doppeltür-Sketch, zum Beispiel, oder die Nummer an der Hotelrezeption, das haben wir uns alles selbst erarbeitet. Im Skript stand lediglich: „Sie führen eine Doppeltür-Nummer durch.“ Sehr hilfreich. Wir haben dann endlos geprobt, viel ausprobiert und wieder verworfen. Aber das Gute ist, wenn man Comedy macht, merkt man schnell, was der andere für komisch hält und was nicht. Man lernt einander dabei bis ins Mark kennen.

War Steve Coogan auch ein Grund dafür, warum Sie nach anfänglichen Zweifeln überhaupt zugesagt haben, die Rolle des Oliver Hardy zu übernehmen?
John C. Reilly: Ja, ganz  bestimmt. Aber meine Bedenken rührten zunächst eigentlich eher daher, dass ich mir nicht hundertprozentig sicher war, ob wir die Sache mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln wirklich gut machen könnten. Bei einem Film wie diesem kommt es über die Besetzung hinaus extrem darauf an, dass die Details stimmen: Maske, Make-up, Haare, Kostüm, ganz zu schweigen von den historischen Einzelheiten und Requisiten. Und als ich hörte, dass Jon Baird mit kleinem Budget großes Kino machen wollte, schrillten bei mir erst einmal alle Alarmglocken. Zumal Biopics nie eine einfache Sache sind, egal wie viel Geld man zur Verfügung hat. Doch nach und nach entwickelte sich das Projekt immer mehr in die richtige Richtung, bis ich irgendwann das Gefühl hatte, ja, so kann’s funktionieren.

Welche typischen Fehler beim Dreh eines Biopics wollten Sie unbedingt vermeiden?
John C. Reilly: Wir leben im Zeitalter von Wikipedia und Google, das heißt, jeder hat Zugriff auf die Biografien von Stan Laurel und Oliver Hardy. Und nicht nur das. Die wichtigsten Lebensdaten jeder auch nur halbwegs bekannten Person lassen sich in Sekundenschnelle übers Smartphone abrufen. Da macht es wenig Sinn, das Ganze noch einmal eins zu eins auf der Leinwand nachzuerzählen. Deshalb war es mir wichtig, dass wir eine Geschichte erzählen, die sich nicht einfach im Internet finden lässt. Die man nicht einmal kennt, wenn man alle ihre Filme gesehen und studiert hat. Mir ging es darum, dass wir eine emotionale Biografie schaffen, die sich damit befasst, wie es sich für die beiden angefühlt haben muss, über Jahrzehnte in dieser kreativen Partnerschaft zu leben. Wie ging es hinter den Kulissen zu? Oder auf den Zugreisen von einem Auftritt zum nächsten? Nur so konnten wir uns genügend kreative Freiheit verschaffen, um über die bekannten Eckdaten hinaus eine spannende, bewegende Geschichte zu erzählen.

Hatten Sie gar keine Scheu, in die Fußstapfen von Oliver Hardy zu treten? Für einen Comedy-Darsteller dürfte es doch fast kein größeres Idol geben.
John C. Reilly: Sie sagen es. Und vielleicht sollte ich mich deshalb jetzt auch zur Ruhe setzen. Im Ernst, darüber nachgedacht habe ich. Und ich frage mich immer wieder, nach The Sisters Brothers und Stan & Ollie, was soll da jetzt noch kommen? Rollen wie diese sind ganz große Ausnahmen und ich muss das auch erst einmal alles verarbeiten. Vielleicht konzentriere ich mich eine Weile aufs Theater oder die Musik. Denn selbst wenn ich jetzt auf die Leinwand schaue, sehe ich da oben in erster Linie Oliver Hardy und nicht mich. Und ich denke darüber nach, wie wichtig er für mich war, nicht nur im Hinblick auf meine Karriere im Allgemeinen, sondern ganz konkret während der Dreharbeiten zum Film. Die Erinnerungen an ihre Kunst, das Vermächtnis von Laurel und Hardy, das ist die eine Sache. Dazu kommt aber, dass ich jeden Morgen, während ich drei, vier Stunden in der Maske saß, in Gedanken immer bei ihm war. Ich habe so viel über ihn nachgegrübelt, ihn manchmal fast angebetet, damit er mich durch diese Rolle führt. Und ich hatte oft das Gefühl, dass er dann ganz nah bei mir war.

Das Geheimnis guter Komik liegt im richtigen Timing. Laurel und Hardy haben das früh erkannt und zu ihrem Markenzeichen gemacht. Ist dieses spezielle Zeitgefühl etwas, das man als Darsteller erlernen kann, oder muss man es einfach besitzen?
John C. Reilly: Für mich war es ein Prozess, der Stille zu vertrauen. Als Schauspieler, vor allem wenn man viel mit Improvisation arbeitet, ist es oftmals so, dass man Angst hat, die Zuschauer könnten anfangen, sich zu langweilen, und deshalb macht man einfach immer weiter. Aber eine der großen Stärken von Laurel und Hardy war gerade, wie viel Zeit sie sich ließen. Sie hetzten nie durch ihre Sketche, sondern ließen den Dingen ihren Lauf. Und das Vertrauen und die Selbstsicherheit, die es braucht, um als Schauspieler vor Publikum auch nur zehn Sekunden lang absolute Stille auszuhalten, sind enorm. Die ersten sechs oder sieben Sekunden sind zermürbend, eine einzige Qual, und man möchte am liebsten auf der Stelle sterben. Wenn keiner lacht und man sich denkt, man hat sich verschätzt und das Publikum verloren. Aber dann ist man endlich bei der achten und neunten Sekunde, auf einmal fangen alle an zu lachen, und kaum sind die zehn Sekunden rum, steht das Haus Kopf. Nur muss man eben den Mut haben, den Moment auszusitzen und sich immer wieder zu sagen: Keine Sorge, das Timing passt. Gleich ist es überstanden.

Der Film erzählt von der Spätphase des Komiker-Duos, als die Karriere schon eine Weile kriselte. Wie gehen Sie persönlich mit dem Risiko um, dass irgendwann vielleicht keine Angebote mehr kommen?
John C. Reilly: Ach, wissen Sie, es ist schon komisch. Ich bin jetzt 53 Jahre alt und seit über dreißig Jahren im Geschäft. Trotzdem bin ich immer wieder selbst erstaunt darüber, dass mich die Leute auf der Straße erkennen. Ich denke einfach nicht in diesen Bahnen und ich bin sicher nicht Schauspieler geworden, um berühmt zu werden oder reich. Es ging mir immer nur darum, meine Leidenschaft zu leben, Geschichten zu erzählen, Sachen darzustellen, um auf diese Weise eine Art Übertragungsmittel für die Emotionen der Menschen zu sein. Das ist es, was ich kann und was mir Spaß macht. Die Tatsache, dass ich im Zuge meiner Arbeit international bekannt geworden bin, ist eine seltsame Nebenerscheinung meines Berufs. Ich sehe mich nicht als Berühmtheit. Und wie andere das beurteilen, ist mir egal.

Wen oder was sehen Sie, wenn Sie heute in den Spiegel schauen?
John C. Reilly: Ich sehe mich nach wie vor als der Schauspieler, der ich bin. Ich mache meine Arbeit wie jeder andere Mensch. Und ich empfinde es als eine große Verantwortung, die Leute dazu zu bringen, einen Film oder ein Theaterstück zu sehen, in dem ich mitspiele. Deshalb sitzen wir hier heute ja auch zusammen bei Tee und Kuchen. Aber wenn ich nicht arbeite oder über meine Arbeit rede, dann halte ich mich bewusst aus der Öffentlichkeit fern. Ich löse mich dann immer gern in Luft auf und umgebe mich nur noch mit den Menschen, die mir lieb und teuer sind. Dieses Streben nach äußerer Bestätigung und Anerkennung von Fremden ist etwas, mit dem ich rein gar nichts anfangen kann. Ich sehe immer wieder Schauspieler, die genau das brauchen, denen es Spaß macht, im Rampenlicht und in der Zeitung zu stehen. Vor allem Komiker leiden oft an diesem Zwang, das Lachen des Publikums als Bestätigung ihrer eigenen Persönlichkeit zu sehen. Woran das liegen mag, kann ich mir nicht erklären. Ich weiß nur, dass ich diesen Impuls nicht in mir verspüre. Ich spiele einfach. Und wer John C. Reilly genau ist, kann ich ihnen deshalb auch gar nicht beantworten. Am ehesten bin ich ein wirres Knäuel der Charaktere und persönlichen Aspekte, die ich bisher im Laufe meiner Karriere mit dem Publikum teilen durfte.

Sie haben bereits angesprochen, wie wichtig in Ihrem Beruf das Vertrauen in die eigene Kunst und in die der Kollegen ist. Was muss ein Regisseur mitbringen, damit Sie sich auf ihn einlassen?
Bei Schauspielern ist man unter sich. Bevor ich die Maske verlasse, lautet mein letzter Satz zu Kollegen stets: „Wir sehen uns auf dem Eis.“ Der Raum vor der Kamera, das ist unser Stadion, unsere Arena. Aber mit Regisseuren ist das etwas anders. Denn sie sind nicht mit dir draußen auf dem Eis, sondern sie beobachten dich aus der Distanz. Film ist ein Regie-Medium, kein Schauspieler-Medium. Man muss das begreifen, um im Film irgendwie weiterzukommen. Und man muss lernen, dem Regisseur zu vertrauen. Denn letztendlich liefert man ihnen als Darsteller nur das Rohmaterial, aus dem sie am Ende einen fertigen Film zaubern.

Woran haben Sie erkannt, dass Sie dem damals noch recht unerfahrenen Paul Thomas Anderson vertrauen konnten, als er Sie für sein Regiedebüt „Hard Eight“ engagierte?
John C. Reilly: Paul ist einer meiner engsten Freunde. Und wir haben diese Freundschaft über die Jahre parallel zu unserer gemeinsamen kreativen Zusammenarbeit entwickelt. Aber ich habe ihm von Anfang an eines gesagt: „Paul“, habe ich gesagt, „wenn du eine Rolle für mich hast, die für mich passt und die deiner Vorstellung von dem Film, den du machen willst, zuträglich ist, dann her damit. Dann bin ich dabei. Aber biete mir niemals eine Rolle an, nur weil du mein Freund bist. Ich will nicht in deinen Filmen mitspielen, weil ich dein Freund bin.“ Paul hat das verstanden, und damit sind wir bis jetzt immer gut gefahren.