Von London über Hollywood nach Gotham City – Michael Caine hat eine lange, beeindruckende Karriere hinter sich. Er spielte Playboys und Agenten, Liebhaber und Killer. Nun wurde der am 14. März 1933 geborene Brite 90 Jahre alt.
Tony Curtis rettete mir das Leben.“ Michael Caine weiß, wie man eine Geschichte erzählt, und so erwies er sich nach der Uraufführung der restaurierten Fassung von Sleuth, gleich am zweiten Abend der Viennale 2012 gezeigt, eine Dreiviertelstunde lang als genialer Unterhalter, der ganz ohne Allüren wundervolle Anekdoten aus seinem Leben verriet. Tony Curtis habe ihm Anfang der sechziger Jahre bei einem zufälligen Treffen in einer Hollywood-Bar kurzerhand das Rauchen verboten. Michael Caine gehorchte – und bekam keinen Lungenkrebs. Auch der Rat von John Wayne sei ihm bei seiner Karriere nützlich gewesen: „Merk dir drei Dinge: Sprich mit tiefer Stimme. Sprich langsam. Und sprich nicht zu viel.“ Anekdoten, die man auch in Caines Buch Die verdammten Türen sprengen und andere Lebenslektionen, 2019 auf Deutsch erschienen, nachlesen kann, mehr ein Ratgeber denn eine Biographie. Mit britischer Coolness und ironischem Understatement beschreibt Michael Caine seinen Weg aus einem Londoner Arbeiterviertel bis nach Hollywood. Und es ist genau diese Coolness, die Michael Caine zu einer Ikone nicht nur der britischen Popkultur, sondern auch des Weltkinos erhob. Längst ist er zur Institution geworden, die die Generationen verbindet: Ältere Cineasten kennen seine Anfänge mit The Ipcress File (1965), Alfie (1966) und The Italian Job (1969). Doch auch jüngere Kinogänger haben ihn seit Batman Begins (2005) als Alfred Pennyworth, den Butler von Bruce Wayne, in guter Erinnerung. Ein gelassener Berater, der immer im rechten Moment zur Stelle ist und das Richtige sagt. Michael Caine ist cool, so wie Clint Eastwood cool ist, und diese Unaufgeregtheit hat er sich über die Jahre hart erarbeitet. Gut möglich auch, dass sich ein Schauspieler wie Ryan Gosling für seine Darstellung in Drive, The Ides of March (beide 2011) und The Place Beyond Pines (2012) von Michael Caine hat beeinflussen lassen – cool, calm and collected.
Anfänge
Michael Caine wird am 14. März 1933 im Londoner Stadtteil Southwark als Maurice Joseph Micklewhite geboren. Kein Name für das Filmgeschäft, und so änderte er ihn – The Caine Mutiny mit Humphrey Bogart stand Pate – um. Seine Mutter war Putzfrau, sein Vater arbeitete auf dem Fischmarkt in Billingsgate. Caine ist also ein Arbeiterkind – eine Identität, die ihn prägen sollte, ähnlich wie Sean Connery oder Albert Finney. Mit 15 Jahren verlässt er die Schule und tritt in Amateur-Stücken auf. Nach seinem Militärdienst in Korea und Deutschland übernimmt er kleinere Parts in Provinztheatern und im britischen Fernsehen. Mit dem Anti-Kriegsstück „The Long, the Short, and the Tall“ hat er 1959 großen Erfolg. Zuvor, 1956, gibt er mit A Hill in Korea sein Spielfilmdebüt. Es dauert ein wenig, bis seine Karriere Fahrt aufnimmt. Doch einmal in Schwung, mag Caine gar nicht mehr aufhören. 177 Filme, darunter auch Episoden für Fernsehserien oder Synchronisationen für Animationsfilme, listet die Internet Movie Data Base auf, und das ist ein ganze Menge. „Ich war von Beruf Schauspieler und musste meinen Lebensunterhalt verdienen“, so Caine pragmatisch. Nicht alle Filme sind gut, manche sogar ziemlich lausig wie Jaws – The Revenge von 1986. Doch das ist nicht Caines Schuld. Mit seiner Selbstironie und der uneitlen Selbstverständlichkeit seines Spiels lässt er die schlechte Qualität eines Films schnell vergessen. Caine selbst gönnt sich Zufriedenheit: „Mit dem Geld, das ich für meine Rolle in diesem furchtbaren Film bekam, habe ich meiner Mutter ein schöneres, größeres Haus gekauft.“ Auch den Zeitungsartikel, der seine 15 schlechtesten Filme ausführlich vorstellte, nimmt er mit Humor.
Bei The Ipcress File, 1965 von Sidney J. Furie inszeniert, steht Caines Name zum ersten Mal über dem Titel. „If I don’t think you’re a star, who the hell else will?“ soll Produzent Harry Saltz-man zu dieser Entscheidung gesagt haben. Caine spielt hier die Kult-Figur des Harry Palmer, eines in Berlin stationierten Sergeanten der britischen Armee, der wegen seiner Schwarzmarktgeschäfte genötigt wird, sich als Spion zu verdingen. Als ein Wissenschaftler mit einer hochgeheimen Akte verschwindet, wird Palmer auf den Fall angesetzt. Es geht um ein mysteriöses Tonband, beschriftet mit „Ipcress“, und gerade, als alles aufgeklärt werden könnte, wird noch ein Agent ermordet, und Palmer muss eine hundsgemeine Folter über sich ergehen lassen.
Harry Saltzman ist natürlich Ko-Produzent von James Bond, und vielleicht hatte er so etwas wie einen neuen Konkurrenten auf Augenhöhe im Sinn. Doch Harry Palmer ist alles andere als ein Superheld. Vielmehr ist er ein normaler Kerl mit Brille, der sich ohne viel Anstrengung durchs Leben schlägt. Dummerweise verlangt die Arbeit als Spion aber sehr viel Disziplin, Kondition und Papierkram. Von inspirierten Eingebungen, aufregenden Frauenbekanntschaften und glamourösen Abenteuern keine Spur. Caine erliegt darum nicht der Versuchung, die Geschehnisse unnötig aufzupeppen, im Gegenteil: Sein stetes Unterspielen trägt wesentlich zur Faszination des Films bei. Zwei weitere „Harry Palmers“ folgen, Funeral in Berlin (1966) und Billion Dollar Brain (1967). Doch sie sind – obwohl wieder mit Caine – nicht mehr so aufregend und unterhaltsam.
Ambivalente Charaktere
Dann 1966 der Film, der auf immer mit Michael Caine verbunden sein wird: Alfie, für den er sogar für den Oscar als bester Hauptdarsteller nominiert war. Er spielt einen verantwortungslosen Playboy ohne Rückgrat oder Zukunft, der gedankenlos durch die Betten mehrerer Frauen, von Shelley Winters bis Vivien Merchant, turnt. Letztere spielt die Frau eines Freundes, die dummerweise von Alfie schwanger wird und eine Abtreibung über sich ergehen lassen muss. „What’s it all about, Alfie?“, muss sich der Casanova in einem Song, von Cher gesungen, fragen lassen, und all das wäre sicher unerträglich, würde Michael Caine den Zuschauer nicht mit offenen und witzigen Bekenntnissen, direkt in die Kamera gesprochen, unterhalten. Caine macht das überaus überzeugend, er bringt einen ganz eigenen, sardonischen und humorvollen Charme in den Film ein.
Eines der großen Highlights mit Michael Caine ist sicherlich Get Carter (1971), den der kürzlich verstorbene Mike Hodges inszenierte. Ein grimmiger, gewalttätiger und stilisierter Gangsterfilm, der dem britischen Krimi-Kino eine ordentliche Frischzellenkur verpasste. Caine spielt den Profikiller Jack Carter, der von London nach Newcastle fährt, um den Tod seines Bruders zu rächen. Noch im Zug liest er Raymond Chandlers „Farewell My Lovely“ – Carter wäre auch gern ein so moralischer, integrer und romantischer Einzelgänger wie Philipp Marlowe. Doch in Wahrheit ist er, so wie Caine ihn spielt, ein gefühlloser, entschlossener Antiheld, der sich einem eng umrissenen Ehrenkodex verpflichtet fühlt und zwischen Vergangenheit und Gegenwart gefangen ist. „Jack Carter ist trocken und kalt. Seine Konversation ist minimalistisch, sein Humor bedächtig auf den Punkt gebracht, heftig und kurz seine Gewaltausbrüche. Die Verletzlichkeit und der Selbstzweifel, durch den die Figur erträglich wird, blitzen nur in wenigen Augenblicken durch seine eisige Fassade“, schreibt Jörg Gerle.
Spaß macht auch Sleuth, den Joseph L. Mankiewicz 1972 nach Anthony Shaffers Theaterstück inszenierte. Über den Inhalt darf man gar nicht so viel verraten, weil hier ständig die Fronten wechseln. Laurence Olivier will den Liebhaber seiner Frau, nämlich Michael Caine, in eine teuflische Falle locken. Doch wer zuletzt lacht, lacht am besten. Eine wahre Tour de force für zwei große Stars, und Michael Caine ist, entgegen seinen Befürchtungen, Laurence Olivier durchaus ebenbürtig. Beide waren für den Oscar nominiert.
Welche Werke könnte man noch aus Caines reichhaltiger Filmographie auswählen? The Man Who Would Be King, 1975 von John Huston gedreht, zeigt ihn und Sean Connery als Abenteurer, die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Kafiristan zu Königen ausrufen lassen wollen. Während Connery den Job durchaus ernst nimmt, bleibt Caine der englische Snob und treibt den Film mit seiner Beflissenheit ins Komische. Unvergessen ist natürlich auch seine Rolle als Transvestit und Psychiater in Brian De Palmas Dressed to Kill (1980). Angetan mit High Heels, blonder Perücke, Sonnenbrille und einem schwarz glänzenden Regenmantel meuchelt er friedliebende Frauen mit einem Rasiermesser. Die Szene, in der er Angie Dickinson urplötzlich im Aufzug anschlitzt, ist reinster Horror. In Educating Rita (1983) nimmt er als desillusionierter, alkoholsüchtiger Englischprofessor die wissbegierige Julie Waters unter seine Fittiche und wurde noch einmal für den Oscar nominiert, mit Woody Allens Hannah and Her Sisters (1985) konnte er die Trophäe endlich einheimsen, als Hannahs Ehemann, der sich allzu sehr für ihre Schwester interessiert. Köstlich ist Caine auch in Frank Oz’ Dirty Rotten Scoundrels (1988) als Hochstapler, der sich zunächst mit Steve Martin als hinterlistigem Gauner arrangieren muss. Doch beide finden ihre Meisterin in Glenne Headly. „The funniest film I ever made – and the happiest“, so der Schauspieler.
Mit zunehmendem Alter spielt Caine nicht mehr den taffen Actionhelden oder den großen Verführer. Seine Rollen werden leiser und vielschichtiger, introvertierter und soignierter. Er hat in Bob Rafelsons Blood & Wine (1996) mitgespielt und in Mark Hermans Little Voice (1998), in Fred Schepisis Last Orders (2001) und dem Remake von The Quiet American (2002), besorgt von Philipp Noyce, nach dem Buch von Grahame Green. Zwischendurch, 1999, natürlich noch Lasse Hallströms The Cider House Rules, basierend auf dem Roman von John Irving. Caine spielt hier einen exzentrischen Doktor, der sich in einem Waisenhaus in Maine, das gleichzeitig als Abtreibungsklinik dient, um einen Jungen kümmert. Wieder erhielt er einen Oscar als bester Nebendarsteller. Während der Dark Knight-Trilogie hat er für Christopher Nolan auch in The Prestige (2006) und Inception (2010) mitgewirkt. Mit Harry Brown von Daniel Barber kehrt Caine 2009 noch einmal zu Get Carter zurück – als Rentner, der den gewaltsamen Tod seines bestes Freundes, begangen von einer Jugendgang, rächt. Wie Clint Eastwood in Gran Torino spielt Caine ungemein intensiv und glaubwürdig, mit einer Gravitas, die seinem Alter angemessen ist. Er wandelt sich vom einsamen Trauerkloß zum entschlossenen Rächer – seine Persona als britischer Soldat, der in Nordirland gedient hat, scheint wieder durch.
Eine Rolle folgt auf die andere, Caine mag einfach nicht aufhören mit der Schauspielerei. „Wann also soll ich in Ruhestand gehen? Wie wäre es mit nie? Warum sollte ich mich zur Ruhe setzen, wenn ich weiter Geld dafür bekomme, das zu tun, was ich liebe?“ fragt Caine den Leser seines bereits erwähnten Buches. Seine neue Hauptrolle ist der verschrobene Schriftsteller in Best Sellers (2021), der noch einmal widerwillig auf Lesereise geht, es soll seine letzte sein, wie er ankündigte. Am 14. März wird Michael Caine 90 Jahre alt. Er hätte sich seinen Ruhestand redlich verdient.