ray Filmmagazin » Interview » Das Bestehen darauf, seltsam zu sein

Interview | Nadav Lapid

Das Bestehen darauf, seltsam zu sein

| Jakob Dibold |
Der preisgekrönte israelische Regisseur Nadav Lapid war anlässlich des Kinostarts seines Films „Aheds Knie“ im Wiener Stadtkino zu Gast. „ray“ bat die so kräftige wie eigenwillige Stimme des zeitgenössischen Autorenkinos zum Interview. Ein Gespräch über Lapids aktuellen Film und seine Faszination für Sprache – aber auch über schöne Krokodile, hungrige Fische, Thomas Bernhard, Briefe und (das mangelnde Wissen über) Brad Pitts Körper.

Beginnen wir mit Ihrem aktuellsten Film „Aheds Knie“, der auf sehr starke und direkte Weise die Themen Zensur und Kunstfreiheit behandelt. Haben Sie das Gefühl, dass die Gefahr inhaltlicher Zensur im Filmbereich gerade besonders hoch ist?
Nadav Lapid: Ich denke, man muss kein Genie sein, um zu erkennen, dass Kino und Kinomachen keine Sache einer Mehrheit mehr ist, sondern Akt einer Minderheit. Es gibt derzeit große, seltsame Dinge, die man auf der Leinwand sieht, einen neuen Batman, vielleicht diesmal gegen seine Schwester, oder was auch immer, die auch Filme genannt werden, das schon. Doch die Verständigung von Publikum und audiovisuellem Künstler, der diese Mittel verwendet, um seine Vision über das Leben und das Universum auszudrücken, dieser Bezug zueinander, der ist kaum noch vorhanden. Das ist erst einmal natürlich eine schreckliche Tragödie, finde ich. Kino ist eine vom Aussterben bedrohte Spezies. Andererseits sollte man daran vielleicht auch das Befreiende daran entdecken und sich entsprechen verhalten – wenn du schon das Alternative geworden bist, dann biete auch eine echte, starke Alternative.

Werbung

In der nächtlichen Wüsten-Szene gibt es diesen witzigen Moment, in dem der Regisseur Y/Yud, der ja auch Sie selbst darstellt, gerade noch inmitten eines Breakdowns und seiner großen Wut, seiner Streit-Partnerin Yahalom, der Staatsangestellten, nachruft, sie möge doch aber bitte kontrollieren, ob die Lautstärke im Kinosaal hoch genug eingestellt ist …
… genau das habe ich jetzt gerade auch gemacht. (Lacht.)

… und bitte ganz vorsichtig und leise die Türen schließen. Da machen Sie sich natürlich ein Stück weit über sich selbst lustig, aber meine Frage ist: Wie schafft man es überhaupt, Filme zu machen und zu zeigen und dabei zu wissen, dass man auf viel Unverständnis oder Nicht-Gefallen stoßen wird?
Als Filmemacher – vor allem als formal ambitionierter Filmemacher – ist man, wie gesagt, heute in der Minderheit. Vielleicht vergleichbar mit einem Politiker, der eine sehr unpopuläre Meinung vertritt, doch trotzdem durchs ganze Land reist, um eine Rede zu halten, die fast niemand hören will. Die einzige Möglichkeit ist es, glaube ich, dieser Feindseligkeit, diesem Argwohn oder dieser Indifferenz eine seltsame Art von Charisma entgegenzustellen, quasi als Verwirrung. Das versuche in meinen Filmen, ich zeige die Dinge wild und vielleicht so, dass es schwer zu mögen ist, aber ich versuche, ein gewisses Charisma zu erzeugen. Manchmal stelle ich mir mein Publikum als verloren in der Wildnis vor – dann kommt eben dieses Krokodil und verschlingt dich, aber du musst zugeben: Es ist ein sehr schönes Krokodil.

Der Nachname des charismatischen Darstellers von Y/Yud in „Aheds Knie“ ist Pollak, in Ihrem Film „The Kindergarten Teacher“ heißt wiederum die Figur des Poeten im Kindesalter Yoav (also auch Y) Pollack; eine schöne Koinzidenz, die auch auf sprachlicher Ebene schon klar macht, dass der Kinderpoet, der ja auch Sie als Kind sind, nun quasi erwachsen geworden ist
Stimmt, das ist verrückt, daran habe ich so nie gedacht! Er wird ja immer Yoav genannt und nie Y, aber ja, es stimmt, das ist ein toller Zufall.

Sie erzählen in all Ihren Filmen auch stets viel von Ihrer Leidenschaft oder gar Besessenheit mit Sprache. Wie hat sich diese entwickelt, und wie prägt das Ihre Arbeit? Geht alles immer streng vom Skript aus oder haben Sie auch manchmal Bilder im Kopf, die Sie realisieren wollen, die vor dem Text kommen?
Sprache war tatsächlich immer schon eine große Leidenschaft von mir. Nach dieser kurzen Dichter-Karriere als Kind begann ich als Autor, veröffentlichte einige Romane. Der Moment, an dem ich anfing, Kino zu machen, fiel damit zusammen, dass ich eine ambivalente Beziehung zu Sprache entwickelt hatte. Was man in meinen Filmen auch sehr stark sehen kann, denke ich. Sie handeln mehr oder weniger alle von der Kraft, aber auch der Schwäche von Sprache, von ihrer Macht und von ihrem Unvermögen. Fast immer versucht jemand mittels Sprache, die Dinge so zu benennen, wie sie sind, endlich eine Wahrheit auszusprechen, die wir alle kennen, aber nie laut sagen – und enden tut es stets im Scheitern und mit dem Gefühl von Ermüdung. Man könnte sagen, die Filme applaudieren Sprache, widersprechen ihr aber auch. Sobald ich ein Skript habe, versuche ich, es zu sublimieren, aber ebenso es durch die Bilder sozusagen zu verbrennen. Bei der Arbeit am Set habe ich die Worte immer als Rhythmus im Kopf, und wenn dieser Rhythmus mit den Bildern und den Kamerabewegungen nicht funktioniert, dann nehme ich einen Satz auch oft mal raus.

Sie lassen Sprache und Bilder also in Konflikt miteinander treten.
Ja, und ich versuche, den Worten einen Körper zu geben, sie von ihrer Bedeutung gewissermaßen zu entleeren. Am Ende bleibt viel mehr der Rhythmus, die Sprache als Musik, als Material.

In Ihrem ersten Spielfilm „Policeman“ fahren anfangs die Männer einer Polizei-Sondereinheit auf Fahrrädern durch die Wüste, bleiben dann stehen und rufen inbrünstig etwas wie „Das ist das schönste Land der Welt!“ in die weite Landschaft hinein. Würden Sie sagen, das sich nun mit Aheds Knie ein Kreis schließt? „Policeman“ untersucht die maskuline Staatsgewalt, deren Widersacher junge Idealisten sind, die sich Sprache als Waffe bedienen; dann in „The Kindergarten Teacher“ haben wir den Kinderpoeten, dem gesagt wird, er habe keinen Platz in dieser Welt – den die männliche Aggressivität dieser Welt aber sehr wohl auch berührt, er stimmt zum Beispiel in die sehr gewaltvollen Anti-Maccabi-Fußballfangesänge seines Kindergartenfreunds mit ein –, der am Ende aber aus freien Stücken wählt, von dieser Staatsmacht gerettet zu werden; der Protagonist in „Synonymes“ flieht eher aus einem System, …
… nur um sich in einem anderen wiederzufinden, natürlich …

… ja, und nun kehrt er in die Wüste zurück und ruft wieder, ruft und schimpft. Ich musste teilweise an Thomas Bernhard denken und dessen Städtebeschimpfungen.
Ja, ich finde, auf eine Art ist es ein sehr Thomas-Bernhard’scher Film! Hinsichtlich dieser Ambivalenz davon, etwas zu beschimpfen und eingeschüchtert von etwas zu sein, und auch in der sehr detailliert artikulierten Wut. In der Verzweiflung dieser Details.

Ja! Fühlt sich das nun wie ein Endpunkt? Der Film ist dermaßen autobiografisch, so selbst-bewusst im Sinne von Reflexion auf Ihr eigenes Schaffen; das ist ein sehr interessanter künstlerischer Punkt, an dem Sie damit stehen.
Als ich die ersten Reviews nach der Cannes-Vorführung las, stieß ich oft auf Begriffe wie Explosivität, Entladung usw. Ich glaube, das war das letzte derartige Rufen. Es gibt ja diesen Punkt, ab dem das menschliche Ohr zum Beispiel hohe Lautstärken gar nicht mehr genau auseinanderhalten kann. Ich wüsste aktuell auch nicht, wie ich etwas machen könnte, das noch nackter ist, sich noch mehr entblößt. Und ich will es auch gar nicht. Also ja, ich möchte nun eine andere Melodie spielen. Man selbst bleibt man am Ende aber immer, mal sehen.

Wenn es in Ordnung ist, würde ich gerne auch etwas zu Ihrer Arbeitsbeziehung mit Ihrer Mutter fragen. Sie hat all ihre Filme geschnitten bis auf den aktuellen. Ihr Vater arbeitet ja mit Ihnen an den Drehbüchern, aber mich interessiert besonders der Prozess mit ihr – Sie als Sprach-Person, sie als die, die Bilder und das Ganze verbindet. Im Film ist das ja auch ein schöner Aspekt, nicht der lauteste, aber ein sehr berührender: Der Protagonist filmt und fotografiert die Szenerien, in denen er sich aufhält und schickt sie seiner krebskranken Mutter. Was auch eine ziemlich junge Kommunikationsform abbildet, die gerade in den vergangenen zwei Jahren noch einmal stark an Bedeutung gewonnen hat. Y/Yud hält sich dann auch schließlich an seiner vermeintlichen Widersacherin fest und weint, wie Sie eben sagten, völlig entblößt. Wie schaffen Sie das, so viel von sich selbst zu zeigen?
Das ist natürlich eine riesige Frage. Was ich sagen kann, ist dies: Als meine Mutter noch am Leben war und ich ans Set ging, hatte ich manchmal das Gefühl, ich tue es, um ihr Shots, Szenen zu bringen. Andere bringen ihren Müttern Blumen, ich brachte ihr Shots, mal bessere, mal weniger gute. Hier im Film auch, nur kann sie sie nicht mehr ansehen. Im Grunde kann man ja auch den ganzen Film als ein derartiges Video verstehen, das ich ihr schicke. An jemanden, die nicht mehr in der Lage ist, es zu betrachten.

Ich habe das Gefühl, der Film handelt von zwei Formen von Tod, oder zweifach von etwas, das nicht gerettet werden kann: Die Gesellschaft und der Staat können nicht vor sich selbst gerettet werden, meine Mutter nicht vor ihrer Krankheit. Wenn man über das Konkrete sprechen will, muss man auch immer über das Existenzielle sprechen. Was ich damit meine ist: Wenn man über die Beziehung zwischen A und B schreiben will, muss man sozusagen erst sagen, dass A und B sterblich sind, dass sie heute am Leben sind und morgen nicht mehr, dass sie Mütter haben, die wahrscheinlich vor ihnen sterben werden etc. Wie wenn man einen Film über zwei Vertreter einer bestimmten Fisch-Art drehen würde – zunächst müsste man verstehen und verständlich machen, was die Essenz des Lebens dieser bestimmten Fische ist, dann erst kann man davon erzählen, wie sie etwa um ein Stück Brot kämpfen. Auch über Zensur zu reden ist meiner Meinung nach gewissermaßen sinnlos, wenn man nicht über den Himmel spricht, über die Sonne, über Leben und Tod einer Mutter, über Verlust.

Vielleicht, um mit Heitererem aufzuhören: Im Film gibt es eine sehr nette verbale Anspielung auf Claire Denis’ „Beau Travail“. Und natürlich sind tanzende Militärs und Polizisten auch in ihren Filmen quasi ein typisches Merkmal geworden. Wie kommt es dazu? Und dann könnten wir natürlich noch kurz über Rohmer sprechen.
Ich bin tatsächlich fasziniert von solchen Leuten, denn für mich ist der Gedanke so interessant, dass sie Tag für Tag den Ausdruck von etwas Höherem darstellen, einer höheren Instanz oder Gewalt, die entscheidet, was gut ist und was schlecht, des Staates, der entscheidet, was erlaubt ist und was nicht. Gleichzeitig sind sie natürlich aber auch Privatpersonen. Tanzen ist einerseits der Ort, an dem sie ihre Essenz und das, woran sie glauben, ausdrücken, andererseits versuchen sie dadurch auszubrechen – wie ein Brief, der aus seinem Umschlag schlüpft und sagen will: Ich bin auch ein Blatt Papier, nicht nur eine offizielle Mitteilung.

… und das Knie?
Ich mag „Claire’s Knie“ (Eric Rohmer, 1970, Anm.) einfach sehr gerne; wobei mir keine zwei Filme einfallen, die unterschiedlicher sein könnten. (Lacht.) Vielleicht war das die einzige Referenz, dass wir beide das Knie zu schätzen wissen. Wobei, wir sprachen ja anfangs über die Position des Kinos heute. Ich glaube, Kino muss heute anders über Dinge sprechen. Auch über menschliche Körper. Vielleicht sind die Augen nicht mehr das Zentrale, oder die Lippen. Man muss neue Körperteile finden. Vielleicht ist es das Knie, ich weiß es nicht. Vielleicht sollte man nach Knien casten – wer weiß zum Beispiel, wie Brad Pitts Knie aussieht? Daraus entsteht ja gleich eine ganz andere Hierarchie.

Dann ganz zuletzt vielleicht noch: Denken Sie darüber nach, wie auch Sie selbst anderen und/oder jüngeren Filmschaffenden als Inspiration dienen?
Schwierig zu sagen. Ich denke, es ist wichtig, die schnelle Kategorisierung „anderer“ oder „ungewöhnlicher“ Filme auch aufzubrechen. Ich möchte auch nicht als eine Randfigur präsentiert werden, die stur darauf besteht, zur Menschheit sprechen zu dürfen. Aber ich bestehe darauf, etwas zu wagen, und ich bestehe darauf, seltsam zu sein. Vielleicht können meine Filme dafür ein gutes Vorbild sein.