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Matrix Ressurections

The Matrix Resurrections

Das Leben ein Albtraum

| Oliver Stangl |
Vor der Auferstehung: ein Rückblick auf den Klassiker von 1999

So wie es bloß zwei „Alien“-Filme (Alien, 1979; Aliens, 1986) und zwei „Terminator“-Teile (The Terminator, 1984; Terminator 2: Judgment Day, 1991) gibt, existiert die „Matrix“ im Grunde nur einmal (The Matrix, 1999). Aber gut, für den Rückblick tun wir einmal so, als wäre da noch mehr. Beginnen wir mit hohem Lob: Was die Macher von The Matrix (Regie und Buch: Geschwister Wachowski – geboren als Larry und Andy, mittlerweile Lana und Lilly) Ende des 20. Jahrhunderts vollbrachten, war nicht ohne Grund so überaus einflussreich – derart viele, scheinbar disparate, Elemente zu einem ansprechenden Ganzen zu kombinieren, kann wahrlich als Geniestreich bezeichnet werden. In der Story um den Hacker Neo (Keanu Reeves), der die rote Pille nimmt und entdeckt, dass er in einer von Maschinen kontrollierten Simulation lebt, trainierte Platon in seiner Höhle Kung Fu und warf sich Baudrillard in schwarze Fetisch-Kleidung; dazu gab es eine nicht geringe Prise Cyberpunk und eine ordentliche Dosis an messianischer Symbolik. Während man beim Kampf mit den Maschinen Einflüsse von Camerons „Terminator“-Filmen erblicken kann, lässt das Grundkonzept deutlich an den Roman „Simulacron-3“ (1964) des US-Autors Daniel F. Galoye denken, der erstmals 1974 von Rainer Werner Fassbinder als Welt am Draht verfilmt worden war.

Dass The Matrix mit allen philosophischen (auch Descartes darf man nicht vergessen), religiösen (Neo ist ein Anagramm zu „One“, also der Auserwählte; zum Christentum gesellt sich u. a. noch der Buddhismus) und populärkulturellen Referenzen nicht eklektisch wirkte (reine Action-Fans konnten sich über die philosophischen Szenen mit jeder Menge „eye-candy“ hinwegtrösten, Freunde des Hongkong-Kung-Fu-Kinos waren in Ekstase), hing zu einem gewissen Grad vielleicht damit zusammen, dass man all dies zuvor noch nie gesehen hatte: Jedem Kinobesucher, der den Bullet-Time-Effekt zum ersten Mal in wirklicher Vollendung erlebte, klappte die Kinnlade nach unten. Hier wurden Bildgrenzen niedergerissen, und der Kinosaal verwandelte sich zumindest ein kleines bisschen in Platons Höhle. Der oftmals als Phantasie-Killer eingesetzte Computer verlieh den Bildern eine Tiefe, die auch der ein paar Jahre später einsetzende 3D-Boom nicht erreichen konnte. Die Verformung von scheinbarer „Realität“, die im Film thematisiert wird, fand somit einen kongenialen CGI-Ausdruck. Applaus. Dass der Bullet-Time-Effekt – 124 Kameras filmten die Bewegungsabläufe am Set, der Rechner fügte die Bilder zusammen – natürlich schnell Nachahmer fand und heute längst ein Klischee ist, tut da (ebenso wie die eine oder andere Story-Implausibilität) nichts zur Sache.

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Influencer
Wenn heutzutage jemand ein Déjà-vu hat, stehen die Chancen nicht schlecht, dass er an einen „glitch in the matrix“ denkt, und beim Thema verbogener Löffel kommt einem wohl eher der Film in den Sinn als Uri Geller. Die Sache mit der roten und der blauen Pille ist längst zur Metapher politischer Grabenkämpfe geworden – so haben in den USA etwa jüngst Anhänger Donald Trumps darauf verwiesen, sie hätten die rote Pille genommen und sähen nun, im Unterschied zum verblendeten Rest, die Wahrheit. Dass auch rund um die Covid-Pandemie viele behaupten, die rote Pille genommen zu haben, hat man wohl auch schon hie und da erlebt (aktuell finden sich unter dem Hashtag #redpill immerhin 729.000 Einträge auf dem zum Zeitpunkt der Filmentstehung noch inexistenten Instagram). Damit wäre auch dieser Bogen gespannt.

Was die Auswirkungen auf das Kino betraf, gab es einerseits Filme, die sich sehr deutlich am Wachoswki-Werk orientierten bzw. durch dessen Erfolg grünes Licht bekamen (Equilibrium, 2002, R: Kurt Wimmer) und andererseits Blockbuster, die sich nicht zu knapp an der choreografischen Aufhebung physikalischer Gesetze bedienten (Inception, 2010, R: Christopher
Nolan). Doch auch für die Wachowskis selbst war schnell klar, dass sie nicht um Fortsetzungen herumkommen würden. Zunächst gab es mittels der gelungenen Animation The Animatrix (USA/Japan 2003; neun Regisseure inszenierten filmische Kurzgeschichten) eine Erweiterung der von ihnen kreierten Welt. Doch 2003 kam mit The Matrix Reloaded das erste Sequel in die Kinos – und enttäuschte in künstlerischer Hinsicht. Dies hatte auch mit der enormen Fallhöhe zu tun.

Der erste Film war nämlich ein wirklich geglückter Standalone-Film, eine schöne runde Sache, bei der „lightning in a bottle“ gefangen wurde, wie der Ami so sagt. Der Neuheits-Faktor war bei den folgenden Teilen schlicht nicht mehr vorhanden. Die Ausweitung des Matrix-Universums geriet arg geschwätzig und wirkte recht hastig entworfen, um den Erfolg des Vorgängers in eine Franchise zu verwandeln. Themen wie „Freier Wille vs. Vorherbestimmung“ wurden mit sehr offensichtlichen Dialogen eingeführt, viele der Kampfszenen wirkten repetitiv, und Neo schien trotz Priester-Soutane etwas gar konfus – Ähnliches gilt auch für den im ersten Teil so grandiosen Agent Smith (eine Glanzleistung Hugo Weavings). The Matrix hatte triumphal und erhebend geendet – und wurde mit Reloaded wieder vulgarisiert. War in Teil 1 jede Szene interessant, spannend und nicht wirklich vorhersehbar (trotz einer im Grunde klassischen Heldenreise mit teilweisen Parallelen zu Star Wars), ging bei den Sequels das Epische völlig verloren. Dass gleich zwei Schauspielerinnen – Aaliyah (Zee) und Gloria Foster (Orakel) – während der Dreharbeiten verstarben und ersetzt werden mussten, tat dem filmischen Flow der Fortsetzungen wohl auch nicht sonderlich gut. Und das Ende von Revolutions gehört ohnehin zu den umstrittensten in der Blockbustergeschichte (dass Teil drei dann nur noch rund die Hälfte des Vorgängers einspielte, machte das nachlassende Interesse auch in Zahlen recht deutlich). Die Jahre, sie gingen vorüber, und The Matrix nahm trotz der schwächeren Fortsetzungen seinen verdienten Platz im Film- und Popkulturhimmel ein. Und es hätte gut sein können.

Neo Evangelion
Nachdem die Parallelen zwischen Neo und Christus mit jedem Teil stärker betont wurden, muss es aber gar nicht so sehr verwundern, dass nun eine Auferstehung in Form eines vierten Teils erfolgt (Apropos Symbolik: Lilly Wachowski meinte 2020, The Matrix sei als Trans-Allegorie zu verstehen – dies mag angesichts der persönlichen Geschichte des Regie-Duos verständlich erscheinen, wird aber an Zusehern, die diesen persönlichen Hintergrund nicht kennen, bis heute vorbeigehen).

Doch abgesehen von spirituellen Überlegungen spielt natürlich, wie stets im zunehmend ideenarmen Hollywood, der schnöde Mammon eine große Rolle. Nun muss man der diesmal solo inszenierenden Lana – die Schwester braucht angeblich eine Auszeit vom Hollywood-System – nicht unterstellen, alte Erfolge aufwärmen zu wollen, aber es ist nun mal so, dass die Wachowskis seit der Matrix-Reihe keine kommerziell erfolgreichen Kinoarbeiten mehr vorlegen konnten (zugutehalten muss man ihnen natürlich, dass bei ihren zumeist auch von der Kritik verrissenen Flops stets künstlerische Ambition zu spüren war).

Späte Comebacks sind jedenfalls mit Vorsicht zu genießen, wie eine lange Liste belegt. Herausgegriffen sei etwa die Indiana Jones-Reihe, der 2008 nach 19 Jahren Pause ein furchtbarer vierter Teil hinzugefügt wurde; 2023 steht nach weiteren 15 Jahren gar Teil 5 an, von dem allerdings Stammregisseur Steven Spielberg – in wahrscheinlich kluger Voraussicht – abgesprungen ist. Es ist ein Dilemma: Entfernt man sich zu sehr von den Wurzeln (und Erwartungshaltungen), zieht man sich den Zorn der Hardcore-Fans zu; klebt man zu sehr an den Vorgängern, stellt sich die Frage, wozu es überhaupt einen neuen Teil gebraucht hat. Und schließlich kann es auch sein, dass Fortsetzungen am guten Ruf der Vorgänger kratzen.

Während Keanu Reeves (nun im John Wick-Look, der sich im Verlauf des Films aber freilich ändern kann) und Carrie-Anne Moss erneut in ihre Rollen als Neo und Trinity schlüpfen, fehlen ziemlich prägende Leute von früher: Neben Lilly absent sind Kameramann Bill Pope, der legendäre chinesische Wirework-Künstler Yuen Woo-ping und Chad Stahelski (Stuntexperte und „John Wick“-Regisseur). Ob Laurence Fishburne den – mutmaßlich – jungen Morpheus (Yahya Abdul-Mateen II) nicht mehr verkörpert, weil er auf Diäten pfeift, sei dahingestellt.

Der Trailer zu The Matrix Resurrections erklärt nicht, wie die gefallenen Helden Neo und Trinity wieder zum Leben erweckt wurden; man kann spekulieren, dass sie digitale Kopien sind, die in der neuen, am Ende von Revolutions angeteaserten Matrix leben – oder dass es sich um eine weitere Version der Matrix (Ewige Wiederkunft; also ein Reboot im Wortsinn) handelt. Die aktuelle Matrix wirkt aber auf jeden Fall bewusst freundlicher als die kalte, farblose, teils heruntergekommene Vorgängerversion (die von Grüntönen geprägt war, während die Realität in Blautönen daherkam). Für Fans bietet der Trailer jede Menge Zitate, darunter die schwarze Katze, die einen neuerlichen „glitch in the matrix“ andeutet. Das Farbspiel mit rot (Wahrheit, Befreiung) und blau (Unterdrückung der Wahrheit) ist ziemlich deutlich vertreten – so ist die Brille von Neos Psychologen (Neil Patrick Harris) knallblau. Sehr subtil wirkt das in der Dichte des Trailers nicht gerade, aber wer weiß, vielleicht hält man das Beste ja noch zurück – und schlägt tatsächlich den einen oder anderen ontologisch-kampfsportlichen Haken. Potenzial wäre reichlich vorhanden, ist unsere Realität doch um ein paar Potenzen vernetzter als sie das noch Ende des 20. Jahrhunderts war – mit den in der Zwischenzeit längst etablierten Sozialen Medien (und eher dystopischen Aussichten wie Zuckerbergs „Metaverse“ am Horizont) sowie der 2003 von Nick Bostrom formulierten Simulationshypothese im Hintergrund gäbe es zumindest Chancen auf einen relevanten Film. Einzelne Trailer-Szenen – Neo, der von der Ahnung geplagt wird, in einer Simulation zu leben, steht in einem vollen Aufzug, in dem alle Menschen an ihren Smartphones kleben – zeigen zumindest, dass die immer virtueller werdende Gegenwart, sprich AR, nicht ignoriert wird. Ob dies jedoch ausreicht, um die alte Matrix-Magie wieder zum Leben zu erwecken, steht noch ein paar Wochen in den Sternen (stilgerecht sollte ein Auferstehungsfilm eigentlich eher zu Ostern und nicht zu Weihnachten starten …). Action und Menschen in durchgestylten Outfits scheint es jedenfalls wieder zuhauf zu geben.

Quentin Tarantino meinte in einem Interview vor einigen Jahren, dass The Matrix einer der besten Filme aller Zeiten sei, die beiden Fortsetzungen jedoch die Mythologie ruiniert hätten. Schauen wir mal, was sich nach Teil vier sagen lässt. Bestenfalls: eine unerwartete, schöne Überraschung. Schlimmstenfalls: Es gibt ja eh nur einen Teil.