Scarlett Johansson passt nicht in das Raster, sie ist die Schöne UND das Biest. Ein Porträt anlässlich von „Black Widow“ – trotz Verschiebung.
Scarlett Ingrid Johansson, geboren am 22. November 1984 in New York City; mütterlicherseits Wurzeln in einer jüdischen Familie aus der Bronx; Vater in Dänemark geboren; ein Halbbruder, ein Zwillingsbruder, zwei weitere Geschwister. Mit der Schauspielerei beginnt Scarlett als Kind, tritt als Achtjährige in einer Off-Broadway-Produktion an der Seite von Ethan Hawke auf. Kleinere Rollen in Filmen folgen, bis sie 1998 in Robert Redfords The Horse Whisperer einen „Introducing“-Credit erhält und in der Rolle der nach einem Reitunfall traumatisierten Grace MacLean die zugehörige Aufmerksamkeit erregt.
In der Folge sieht man sie in so unterschiedlichen Filmen wie Terry Zwigoffs herber Coming-of-Age-Dramödie Ghost World (2001), dem elegischen Krimidrama The Man Who Wasn’t There der Coen Brothers (2001) und Eight-Legged Freaks, Ellory Elkayems Hommage an den Rieseninsekten-B-Film der fünfziger Jahre (2002). Kaum volljährig, wird sie gleich zweimal für den Golden Globe nominiert, in der Kategorie Drama für ihre Rolle in Girl with a Pearl Earring (Peter Webber) und in der Kategorie Komödie für jene in Sofia Coppolas Lost in Translation. Darin spielt Johansson die Philosophie-Studentin Charlotte, die an der Seite ihres supercoolen Rockstar-Fotografen-Gatten nach Tokyo kommt und dort, alleingelassen, in der Hotelbar auf den nicht weniger verloren wirkenden, nicht mehr ganz taufrischen Schauspieler Bob Harris trifft, dargestellt von Bill Murray. Murrays und Johanssons Loner, die in der Fremde Trost beieinander finden, sind eines der ewig gültigen Melancholiker-Paare, und Johansson feiert ihren globalen Durchbruch. Sie ist noch keine zwanzig Jahre alt, als sie ins Licht der Scheinwerfer und ins Zentrum der Aufmerksamkeit tritt. Und in den folgenden Jahren und Filmen wird das Publikum Zeuge, wie sich aus dem hübschen Mädchen mit der friedvollen Aura des in sich ruhenden Charakters eine Schönheit entwickelt, die nicht weniger rätselvolles Potenzial bereithält.
Das stille Mädchen wird zu einer Frau von dem Kaliber, die man früher „Bombshell“ genannt hat, und deren Auftritt einen Raum zum Stillstand bringen kann. Und dann ist da natürlich noch ihre Stimme; eine Stimme, die klingt wie Karamellkrokant in Bitterschokolade oder wie eine Mischung aus ganz viel schottischem Single Malt Whisky und noch mehr französischen Gitanes Maïs. Eine Stimme zum Durchdrehen, wie Joaquin Phoenix als einsamer Briefeschreiber in Spike Jonzes Her (2013) am eigenen Leib erfahren muss, als er sich prompt und unsterblich in Samantha verliebt, das von Johansson gesprochene Betriebssystem seines Computers. Wer, wenn nicht Johansson sollte der Python Kaa in der aktuellen Version von The Jungle Book (Jon Favreau, 2016) das hypnotische Raunen verleihen? Und wer, wenn nicht Johansson, die Showhündin Nutmeg in Wes Andersons Isle of Dogs (2018) so verführerisch spröde klingen lassen? Da nimmt es dann nicht Wunder, dass Johansson, die auch als Sängerin reüssiert, auf ihrem Debütalbum zahlreiche Songs von Tom Waits covert, dessen Organ bekanntlich nicht minder eigenwillig klingt. Johansson, die üppige, die kurvenreiche, der Sinnlichkeit und Leidenschaft aus jeder Pore dringen, erinnert in ihrem Erscheinungsbild in angenehmster Weise an die Leinwand-(Sex-)Göttinnen der fünfziger Jahre, allen voran Marilyn Monroe. Sie verkörpert Weiblichkeit in Vollendung. Was aber macht sie damit, dass ihre Gestalt die Antwort auf Wunschträume gibt? Sie macht das Illusorische von Sehnsucht wie Erfüllung sichtbar.
Ein wunderbares Beispiel hierfür ist das US-Zicken-Klischee-Konzentrat mit dem wunderbaren Namen Barbara Sugarman, das Johansson in Joseph Gordon-Levitts nach eigenem Drehbuch inszeniertem Regiedebüt Don Jon (2013) spielt. Gordon-Levitts fetzige Farce handelt von durchaus ernsten Themen: von der Kommerzialisierung zwischengeschlechtlicher Beziehungen, von der Ersetzung von Intimität und Nähe durch formalistische, verkitschte Berührungsmuster, vom Verzicht auf die Entwicklung einer eigenen, einzigartigen Identität zugunsten der unreflektierten Aneignung von Rollenklischees und Stereotypen.
Scarlett Johansson legt Sugarman, die an die Hollywood’sche Ausprägung der Idee der romantischen Liebe glaubt, scharf an der Grenze zur Charge an und bleibt doch mit ihr solidarisch – so gelingt ihr mit dieser Figur denn auch das Charakterporträt einer armen Tröpfin in den Fängen einer kapitalistischen Propagandalüge.
Äußerlich mag Scarlett Johansson Klischees von Sexiness erfüllen, weil sie einer Norm des weiblichen Körpers entspricht, die immerhin altehrwürdig auf die Bildhauerei der Antike zurückgeht. Aber sie geht künstlerisch nicht in die Falle, in die Marilyn Monroe tappte und aus der diese sich nicht mehr befreien konnte. Die Zeiten haben sich eben tatsächlich geändert, und eine Frau braucht sich nicht notwendigerweise hüftschwingend einen Millionär zu angeln, sie kann auch auf dem Teppich bleiben.
Wie die Babysitterin Annie Braddock, die in der liebenswürdigen Komödie The Nanny Diaries (Shari Springer Berman, Robert Pulcini, 2007) mit den Tücken der New Yorker Upper East Side-Gesellschaft kämpft. Oder wie Nicole, die in Noah Baumbachs vielfach preisgekröntem Ehedrama Marriage Story (2019) eine Scheidung durchmacht. (Eine Rolle, die Johansson dieses Jahr eine Oscar-Nominierung als beste Hauptdarstellerin einbrachte, neben einer weiteren als beste Nebendarstellerin in Taika Waititis transgressiver Posse Jojo Rabbit.)
Die Frau von Heute kann aber auch Superheldin werden. Dementsprechend erhält nunmehr Johanssons Figur der Natasha Romanoff/Black Widow, die sie in den Iron Man– sowie Avengers-Franchises seit 2010 spielt, mit Black Widow (Regie: Cate Shortland) einen eigenen Spinoff-Film. In Johanssons Œuvre gesellt sich Black Widow zu einer Reihe von Frauenfiguren, die in der Grauzone des Humanen Angst und Schrecken verbreiten: Da ist zum Beispiel das geklonte Ersatzteillager Jordan Two Delta, das in Michael Bays Materialschlacht The Island (2005) die Lüge ihrer Existenz erkennt und mit vehementer Gegenwehr eine ganze Scheinwelt zum Einsturz bringt. Da ist das Alien, das in Jonathan Glazers düster-opaker Science-Fiction Under the Skin (2013) seine Menschlichkeit nur vorgibt: ein pechschwarzes Wesen, das sich Johanssons verführerisches Äußeres zunutze macht, um ahnungslose Männer zu ver- und einer mörderisch-grausigen Verwertung zuzuführen. Da ist Lucy, die in Luc Bessons gleichnamigem Krawall-Kracher (2014) mit einer Superdroge vollgepumpt wird, vom Analogen ins Digitale mutiert und von einer verletzbaren jungen Frau zu einer Welterlösungswaffe wird. Und da ist Major in Rupert Sanders’ kongenialer Realfilmadaption Ghost in the Shell (2017) von Oshii Mamorus Anime-Meilenstein Kokaku kidotai (1995), deren menschliches Gehirn in einer Cyborg-Hülle steckt, die ihren Körper zwar panzert, aber doch auch sehr nackt erscheinen lässt.
Es spiegelt sich in diesen Figuren auch eine Spaltung wider: Die Frau trennt sich vom Körper, und der Körper wird kenntlich als Verführungsinstrument und/oder Kampfwaffe. In dieser Konzeptualisierung bleibt der Raum, den die Frau einnimmt, vorerst vage. Es ist aber davon auszugehen, dass sie irgendwo da draußen ist und ihn sich erobern wird. Mit Macht. Kein Scherz.