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Elvis

Elvis schwebt

| Oliver Stangl |
Baz Luhrmann nimmt sich des erfolgreichsten Solokünstlers der Popgeschichte an.

Wären Filme Varieté, würde Baz Luhrmann wohl als Zeremonienmeister fungieren. Nummernrevuen, Kunststücke, Tingeltangel, extravagante Kostüme und das Abzielen auf die ganz großen Gefühle – alles da, nur Pausen gibt es zwischen all den rasanten Ereignissen kaum. Zumindest nicht in seinen Filmen. Im sogenannten echten Leben dagegen lässt der Australier, Jahrgang 1962, gerne viele Monde zwischen seinen Projekten vergehen. Ganze sieben Jahre lagen etwa zwischen dem Mode- und Burlesquewelt zuhauf inspirerenden Musical Moulin Rouge (2001) und dem Melodram Australia (2008). Bis zum Nachfolgeprojekt The Great Gatsby (die Internet-Gifs mit dem die Schampusschale hebenden Leonardo DiCaprio gingen in die Hunderttausende) zogen weitere fünf Jahre ins Land. Zusammen mit ausgeprägten Trademarks – knallige Farben, rasante Zooms, teils theatrale Inszenierungen (Luhrmann besuchte nicht nur die Filmschule, sondern arbeitete auch im Opern- und Musicalbereich) – kann man diese Pausen als Indizien dafür werten, dass der Mann ein Auteur ist, der Projekte nur dann umsetzt, wenn er wirklich von ihnen überzeugt ist. Falls das noch jemand bezweifelt hat.

Jetzt geht also die bislang längste Pause zu Ende, denn neun Jahre nach Luhrmanns letztem Kinofilm (dazwischen lag allerdings die Arbeit an einer Fernsehserie) läuft Elvis an, das Porträt jenes Mannes (1935–1977) aus Tupelo, Mississippi, der den Rock’n’Roll salonfähig machte, Eltern mit seinem Hüftschwung schockierte, deren Töchter begeisterte, sowohl in schlanker als auch dickleibiger Gestalt zur kulturellen Ikone wurde und mit über einer Milliarde verkaufter Tonträger als erfolgreichster Solokünstler überhaupt gilt. Und da Luhrmann sich treu bleibt, wird das Ergebnis seiner Bemühungen wohl, wie fast immer, die einen in einen Glückshormonrausch versetzen und die anderen ob mutmaßlicher oder tatsächlicher Oberflächlichkeit die Stirn runzeln lassen.

Aber wer weiß, vielleicht ist beides der Fall – Elvis hat Stärken, aber auch Schwächen. Der größte Trumpf ist gleich einmal Austin Butler in der Titelrolle: Dieser ist trotz seiner erst 31 Lenze bereits ein Schauspielveteran, war schon als Teenager in diversen Fernsehproduktionen zu sehen und hatte 2019 eine kleine Rolle in Tarantinos Once Upon a Time in Hollywood. Mit Elvis dürfte ihm nun der große Durchbruch gelungen sein, denn Butler beherrscht nicht nur den Hüftschwung und die Manierismen des King, er meistert auch die Stimme und das Charisma Presleys scheinbar mühelos. Dabei handelt es sich aber immer um eine Interpretation und nie um eine sklavische Imitation. Was die Intensität von Butlers Darstellung betrifft, fühlt sich vielleicht mancher an Val Kilmers eindrucksvolle Leistung als Jim Morrison in The Doors (1990, R: Oliver Stone) erinnert. Apropos Kilmer: Dieser hatte in Tony Scotts True Romance 1994 einen Cameo-Auftritt als imaginärer Elvis. Und wenn wir schon dabei sind: Es gab über die Jahrzehnte natürlich diverse Schauspieler, die Elvis verkörperten, wobei hier neben Butler – mit dem Vorbehalt völlig anderer zugrundeliegender künstlerischer Konzepte – vor allem Kurt Russell (Elvis, 1979, R: John Carpenter) und Michael St. Gerard (Elvis, 1990, TV-Serie) hervorzuheben sind.

Was Luhrmann mit Elvis jedenfalls auch zeigt – und das gehört ebenfalls zu den gelungenen Aspekten des Films – sind die enorme Energie, der Schweiß und das Herzblut, die der King in seine Bühnenauftritte steckte: Butler legt hier alles hinein, ohne zu übertreiben. Die schon erwähnte Präsentation der Bühnen-Performances fügt sich perfekt in Luhrmanns Regiekonzept: Die vermittelte Dynamik vermag in Kombination mit dem poppigen Kostümbild (von den pinken Anzügen bis zu den Jumpsuits) wohl nicht nur Elvis-Fans mitzureißen.

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Eine psychologisch-realistische Auseinandersetzung mit Presleys komplexeren Seiten hat sich von Luhrmann aber wohl kaum jemand erwartet – und diese findet auch nicht wirklich statt. Die bekannten Lebensstationen werden relativ oberflächlich abgehandelt, darunter der Tod des Zwillingsbruders bei der Geburt, das Verhältnis zur übermächtigen Mutter, der rasante Aufstieg zum Superstar und die Ehe mit Priscilla (Olivia DeJonge).Dass Elvis Schwarze Musik auch bei Weißen salonfähig machte (was für Skandale sorgte) und Freundschaften mit afroamerikanischen Musikern pflegte, wird natürlich ebenfalls thematisiert, wirkt aber trotz eines Bild- und Tongewitters mehr wie das Abhaken biografischer Wegmarken. Luhrmann scheint entschlossen zu sein, kein konventionelles Biopic abzuliefern: Besonders im ersten Filmdrittel ist das Tempo daher frenetisch, finden zahlreiche Zeitsprünge statt, bleiben Szenen nur kurz stehen (bei manchen gehetzten Sequenzen wäre Michael Bay wohl neidisch), gibt es anachronistische Musikeinsätze (darunter Rap) und Bildübergänge (wenn sich etwa ein Riesenrad in eine drehende Schallplatte verwandelt). Allerdings bleiben viele Figuren durch eben diese Gehetztheit blass – und dass, obwohl der Film eine Länge von mehr als zweieinhalb Stunden aufweist. Auch sind nicht alle eingesetzten visuellen Mittel – Zeitungscollagen, Nachrichtenberichte – ganz taufrisch.Als Metapher taucht immer wieder der bereits in der Kindheit durch die Lektüre von Comics genährte Traum vom Fliegen auf: Was anfangs das Herbeisehnen des Ruhms ist, wird immer mehr zur Sehnsucht nach dem Davonschweben aus dem Wahnsinn des Showbusiness. Über weite Strecken gleicht das Filmerlebnis so einer Art von negativem Zuckerrausch.

 

Toxische Beziehungen

Der Schwerpunkt des Films liegt jedenfalls ganz klar auf dem Verhältnis von Elvis mit seinem berüchtigten, manipulativen Manager Colonel Tom Parker (1909–1997): Der gebürtige Niederländer, der sich als Amerikaner ausgab und durch seine Machenschaften mehr verdiente als Elvis selbst, wird von Tom Hanks verkörpert, der die Rolle eher wie eine Karikatur anlegt. Darüber, inwieweit diese Darstellung als künstlerisches Konzept gedacht war, kann man diskutieren, aber die toxische Geschäftsbeziehung – der spielsüchtige Parker sorgte aus starkem Eigeninteresse dafür, dass Elvis in seinen letzten fünf Jahren in einem Hotel in Las Vegas (wahrlich ein „Heartbreak Hotel“, in dem Elvis sich letztlich „caught in a trap“ fühlte) auftrat und sich von mutigeren Musikprojekten fernhielt – erhält relativ wenig Tiefe. Parker fungiert nämlich auch als Erzähler des Films, wobei die Auslassungen dieses „Devil in (a Thin) Disguise“ eher klischiert bleiben; der Kampf Künstlerseele gegen Kommerz bringt insgesamt nicht viel Neues. Am stärksten sind hier die Segmente inszeniert, in denen Elvis sich im Rahmen eines Weihnachts-Specials gegen Parkers Wunsch, ein klassisches Weihnachslied zu singen, durchsetzte und stattdessen einen Song zu Ehren des ermordeten Martin Luther King anstimmte. Überraschenderweise ebenfalls zu den Highlights gehören die schon erwähnten Szenen im Hotel, in denen die Musik länger steht und die absolut mitreißend inszeniert sind: Butler fungiert hier als brillanter Performer im Wortsinn.

Elvis ist also im Wesentlichen ein Film über eine toxische Beziehung und die Mechanismen von Kommerzialisierung, die aus einem unschuldigen Genie einen gebrochenen, übergewichtigen und medikamentensüchtigen Mann macht; etwas weniger visueller Zauber und eine Spur mehr Ruhe hätten hier möglicherweise gut getan. Alles in allem ist der Film aber trotz der aufgezählten Kritik sehenswert. Dafür sorgen schon der Hauptdarsteller und natürlich die Musik, die einem Best-of aus dem umfangreichen Song-Katalog des King gleicht. Nach Ansicht der besten Filmmomente wissen vielleicht auch Nachgeborene, die noch keinen Kontakt mit Presley-Songs hatten, warum der Mann „The King“ genannt wurde. Das enorme Charisma und der Umstand, dass er einfach verdammt gut singen konnte, waren wohl nicht die unwichtigsten Gründe. Wie heißt es so schön? 50.000.000 Elvis Fans Can’t Be Wrong.