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Halloween

Halloween

Das unsagbar Böse

| Jörg Schiffauer |

Was den ikonischen Status angeht, steht Halloween Dario Argentos Suspiria um nichts nach.

Mit der Geschichte um Michael Myers, den Killer mit der gesichtslosen weißen Maske, der als Sechsjähriger in der Halloween-Nacht 1963 seine Schwester ersticht, um 15 Jahre später nach seiner Flucht aus einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt wieder die idyllische Kleinstadt Haddonfield in Illinois heimzusuchen und seine Mordserie fortzusetzen, gelang John Carpenter 1978 ein in jeder Hinsicht atemberaubender Thriller, der sich zum veritablen Überraschungserfolg – produziert mit einem kleinen Budget von etwas mehr als 300.000 Dollar spielte der Film weltweit knapp 70 Millionen ein – mit Kultfaktor entwickelte.

Halloween ist aber auch ein Musterbeispiel für die Kunst erzählerischer Ökonomie, mit der  John Carpenter virtuos den im Grunde simplen Plot gleichsam zu einer Essenz des Horror-Genres zu verdichten verstand. Mit dieser narrativen Dichte, aber auch mit seiner Stilistik und seinen typischen Motiven wurde Halloween bald zu einer – allerdings in seiner Brillanz nie wieder ganz erreichten – Blaupause für ganze Legionen von Arbeiten, die das populäre Subgenre des Slasherfilms begründeten. Der Erfolg zog über die Jahre nicht weniger als sieben Sequels von, vorsichtig formuliert, unterschiedlicher Qualität – wobei in Halloween III Michael Myers gar nicht vorkommt – nach sich, der selbsternannte Horror-Fachmann Rob Zombie drehte 2007 sogar ein Remake (Halloween, USA 2007), das allerdings furchtbar misslang.

Nachdem der Mythos der „Halloween“-Reihe allein immer wieder für respektable Einspielergebnisse gesorgt hatte, der kreative Output der Reihe jedoch eher durchwachsen geblieben war, konnte der Versuch einer erneuten Fortschreibung durchaus als gewagt gelten. Doch David Gordon Green, der sich bislang mit  Regiearbeiten wie George Washington, All the Real Girls, Prince Avalanche, Joe und zuletzt Stronger vor allem im US-amerikanischen Independent-Film oder mit recht überdrehten Komödien wie Pineapple Express einen Namen machen konnte, hat einen weitgehend schlüssigen Ansatz gefunden, um ein weiteres Kapitel anzufügen. Seine „Halloween“-Fortschreibung verwirft alle mehr oder weniger abstrusen Wendungen, die in den zahlreichen Sequels vollzogen wurden und knüpft erzählerisch  direkt an John Carpenters Original an. 40 Jahre nach den furchtbaren Geschehnissen in Haddonfield befindet sich Michael Myers immer noch in einer psychiatrischen Anstalt und gibt allen Ärzten weiterhin Rätsel auf. Obwohl er seit Jahrzehnten kein Wort gesprochen und er altersbedingt ein paar graue Haare bekommen hat, vermittelt – zwei Journalisten, die sich erneut mit dem Fall befassen, bekommen es in der Eingangssequenz zu spüren – allein seine physische Präsenz eine unheimliche Aura der Bedrohung.

Nach diesem Intro macht der Vorspann deutlich, in welche Richtung die Reise geht. Der charakteristische Halloween-Kürbis mit dem eingeschnitzten Gesicht, neben dem die Credits ablaufen, ist zu Beginn vertrocknet, doch während das eingängige Thema von Carpenters Original-Score eingespielt wird, erstarkt der Kürbis wieder zur vollen Pracht, einschließlich des sardonischen Grinsens. Ein symbolträchtiges Bild, denn Greens Inszenierung changiert im weiteren Verlauf geschickt zwischen Reverenz an Carpenters Original und dynamischer Fortschreibung der Geschichte. Mitten im Geschehen ist auch wieder Laurie Strode (Jamie Lee Curtis im Interview), im Original jene Schülerin, die den mörderischen Attacken von Michael Myers mit knapper Not entkommen konnte. Ein traumatisches Erlebnis, das seine Spuren hinterlassen hat, denn seither bereitet sich Laurie geradezu manisch auf eine mögliche Wiederkehr von Michael Myers vor. Sie verschanzt sich in ihrem zur Festung ausgebauten Haus, hortet Waffen und übt sich in allen Arten von Selbstverteidigung. Doch ihr zwanghaftes Verhalten hat Laurie nicht nur weitgehend isoliert, es hat auch dazu geführt, dass sie das Sorgerecht für ihre Tochter
Karen (Judy Greer) verloren hat. Die, mittlerweile längst erwachsen und von ihrer Mutter entfremdet, lebt mit ihrer Familie mitten im nun wieder beschaulichen Haddonfield, ihre Tochter Allyson (Andi Matichak) befindet sich gerade im Alter von Laurie, als diese die verhängnisvolle Halloween-Nacht von 1978 erleben musste. Als Michael Myers in ein Hochsicherheitsgefängnis verlegt werden soll, kommt es wie es kommen muss. Der Bus verunglückt, Michael entkommt und macht sich schnurstracks wieder auf den Weg nach Haddonfield  ­– schließlich steht Halloween kurz bevor.

Schon mit der Struktur des  Plots erweist sich David Gordons Greens Halloween als Hommage an John Carpenters Klassiker. Geschickt baut seine erfrischend geradlinige Inszenierung einzelne Szenen ein, die ziemlich genau dem Original nachempfunden sind, entwickelt dabei aber auch eine originäre Narration. Dass etwa die Mordtaten Michael Myers’ im Gegensatz zum Original nicht nur numerisch zunehmen sondern auch deutlich drastischer in Szene gesetzt werden, erscheint als durchaus stimmige Adaption der im gegenwärtigen Horror-Genre vorherrschenden Gepflogenheiten. Doch auch Green verzichtet wie Carpenter auf den Versuch, das Grauen erklären zu wollen. Die mythische Präsenz Michael Myers’ – in der Originalfassung treffend als „The Shape“ apostrophiert – bleibt unangetastet, seine Charakterisierung durch Dr. Loomis (in Carpenters Film von Donald Pleasance gespielt) als „pure evil“ wird auch in Greens Fortschreibung zitiert. Wie bei Carpenter bezieht Halloween auch bei David Gordon Green einen nicht unbeträchtlichen Teil seiner verstörenden Wirkung daraus, das das Grauen wie eine Art Naturgewalt über jenes ländliche Amerika, das als Herzstück und Sinnbild von „God’s Own Country“ gilt, hereinbricht und die vermeintliche Idylle und Sicherheit dieses Orts unwiederbringlich zerstört. Während die Reaktion in Haddonfield 1978 nur allgemeines Entsetzen war, hat Green eine brandaktuelle Entwicklung integriert.

Das gesellschaftliche Auseinanderdriften kommt in den völlig konträren Reaktionen von Laurie und ihrer Tochter zum Ausdruck. Während Laurie in ihrer paranoiden Getriebenheit dem finalen Showdown mit Michael Myers – den sie eigentlich fürchtet – geradezu entgegenfiebert, beschwichtigt Karen die Dinge auch dann noch, als die Gefahr quasi schon an die Tür klopft. „The world is not only a dark place, it’s full of love“ wird sie ihrer Mutter entgegnen, während „The Shape“ schon seine mörderische Spur durch Haddonfield zieht. Solche absoluten,  festgefahrenen Positionierungen führen naturgemäß in Sackgassen. Es braucht schon das archaische Böse in Gestalt von Michael Myers, um wenigstens hier eine Annäherung gleichsam zu erzwingen. Haddonfield, Illinois,  wird durch den Horror zu jener Utopie, die in den realen USA 2018 kaum noch denkbar erscheint.