High Life

Filmkritik

High Life

| Alexandra Seitz |
Ungewöhnlicher Vertreter eines altehrwürdigen Genres erobert Neuland.

Der Astronaut ist außerhalb des Raumschiffes mit einer Reparatur beschäftigt; via Kopfhörer dringt das Geschrei eines Babys an sein Ohr, laut und penetrant. Vergeblich versucht er, den Säugling zu beruhigen und schließlich entgleitet ihm, der gestresst und abgelenkt zunehmend hektisch herumschraubt, das Werkzeug und entschwindet. Es hätte zwar weitaus schlimmer kommen können, doch es ist ohnehin schon ziemlich schlimm.

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Wie kommt ein Kleinkind in ein Raumschiff in den tiefsten Tiefen des Alls? Wie kommt es, dass es dort allein ist mit einem einzigen Astronauten? Was soll aus den beiden werden? In Erinnerungsblitzen enthüllt sich in Claire Denis’ High Life die bittere Wahrheit über die Herkunft von Willow und ihr Verhältnis zu Monte (Robert Pattinson) und wirft die Frage auf nach der Zukunft dieser letzten Menschen, die zugleich die ersten sind; in dieser seltsamen Schuhschachtel, an Bord derer sich ein Garten Eden findet, deren Auftrag aber die Erforschung von Schwarzen Löchern ist. Unter anderem.

Denn Monte und Willow waren nicht immer allein, und Willow gibt es nur, weil Monte Versuchskaninchen war in einer Laborsituation, die lang schon aus dem Ruder gelaufen ist. Beide sind sie Opfer und Überlebende von Experimenten mit Urtrieben. Begehren, Sexualität und Fortpflanzung sind die Themen dieses wilden, düsteren und dabei bodenständigen Science-Fiction-Films, der die Körper und ihre Flüssigkeiten in schmerzlichen Kontrast setzt zu technokratischer Macht- und Gewaltausübung. Das erste Wort, das Willow lernt, lautet: „Tabu“.

Das aber scheint wiederum Claire Denis nicht zu kennen, derart tabulos geht sie in ihrem Film zu Werke. Schicht um Schicht löst sie die Polsterung sozialen Verhaltens auf, entfernt Würde und Respekt aus den Umgangsformen, reduziert Menschen in Bedrängnis auf Kreaturen in Not. Bis schließlich nur noch eine innere wie äußere Nacktheit bleibt und die Brutalität von Unterwerfung. Dabei ist High Life bei aller Schonungslosigkeit doch auch ein zärtlicher Film, der Formen des Widerstandes erkundet und Selbstachtung unter Extrembedingungen erforscht. Er ist auch ein Kunstwerk, zu dessen Gelingen unter anderem Ólafur Elíasson, der das Raumschiff entwarf, und Stuart A. Staples, der die Musik schrieb, beigetragen haben. Sowie eine hervorragende Besetzung, die gemeinsam mit Denis die Grenzen immer weiter in den Raum verschiebt, um sie letztlich zu überschreiten