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Joker

Hoch gepokert

| Pamela Jahn |
Nichts zu lachen: Joaquin Phoenix brilliert als Joker in Todd Phillips’ ebenso intensivem wie komplexem Porträt des legendären Comic-Bösewichts.

Man muss Joaquin Phoenix nehmen, wie er ist. Für seine Rollen tut der Mittvierziger alles, wirklich alles nur Erdenkliche. Tut, was sie ihm abverlangen, und dringt immer noch ein Stück weiter, tiefer in die Seelen der Figuren vor, um nach Wahrheiten zu suchen – und womöglich auch, um keine Zweifel an seinem Ruf als einem der eindrucksvollsten Schauspieler seiner Generation aufkommen zu lassen. Die bisher drei (und mit Sicherheit bald vier) Oscar-Nominierungen sprechen für sich. Wenn es allerdings darum geht zu ergründen, was genau hinter seinen gebrochenen Leinwandcharakteren steckt, was sie antreibt und nicht selten zu extremen Handlungen zwingt, hat man bei ihm schlechte Karten. Dann dreht und windet er sich, sitzt wie gequält vor einem und entschuldigt sich immer wieder, keine hinreichende Antwort auf die Frage geben zu können. Für Phoenix, so scheint es, bedeutet jedes Bündnis mit einer Rolle einen teuflischen Pakt auf Leben und Tod, den zu brechen er nicht in der Lage ist.

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Mit dem Angebot, in Todd Phillips’ Joker den irren Clown zu spielen, kamen erwartungsgemäß zunächst jede Menge Zweifel und eine große Angst, sagt Phoenix. Soviel verrät er dann doch. Immerhin würde er nicht der erste sein, der sich der berühmt berüchtigten Identität des bösen Widersachers von Batman annehmen sollte, und das, nachdem Heath Ledger und Jack Nicholson in früheren Versionen bereits tiefen Eindruck hinterlassen hatten. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Phoenix’ eigene Joker-Lektüre sich vor dem Drehbuch lediglich auf Grant Morrisons und Dave McKeans „Batman Arkham Asylum“ aus dem Jahr 1989 beschränkt hatte. Und doch sagte er Phillips am Ende zu, nahm die Herausforderung an und stürzte sich sogleich in die Arbeit. „Ich dachte, bei dem Film und mit den Figuren würde es auch für die Zuschauer nicht einfach werden,“ gesteht er, noch immer zögernd, im Interview mit „Total Film“. „Es gibt Momente, in denen man sich mit Arthur verbunden fühlt und mit ihm mitfiebert. Und dann gibt es jede Menge Situationen, in denen man angewidert ist von dem, was er tut. Ich mag es, das Publikum auf diese Weise zu fordern, sich mit der Figur auseinanderzusetzen – und mich selbst. Es passiert nicht oft, dass man die Gelegenheit dazu bekommt, und schon gar nicht im Superhelden-Genre.“

Verwandlung

Womit wir beim Stichwort wären, denn Joker ist genau das nicht, ein Superhelden-Film, zumindest nicht im herkömmlichen Sinn. Phoenix verbringt die meiste Zeit auf der Leinwand eben nicht damit, den Joker mit seiner verzerrten Fratze zu mimen, sondern ist Arthur Fleck, ein armer, gebrochener und zerbrechlicher Kerl, der in einem bescheidenen Zuhause zusammen mit seiner kranken Mutter lebt. Einmal wöchentlich geht er zur Therapie, nimmt sieben verschiedene Medikamente, die ihn in Gang halten, doch die psychiatrische Abteilung, die für ihn zuständig ist, soll geschlossen werden. Wir schreiben das Jahr 1981, und Gotham City (ein mit viel Liebe heruntergewirtschaftetes New York) hat nach dem andauernden Streik der Müllabfuhr mit einer Riesenratten-Plage zu kämpfen, die den Menschen mindestens genauso zusetzt wie die soziale Lage an sich. Die Bevölkerung ist gereizt und verunsichert, denn die Zeichen stehen schlecht: Sollte der Milliardär Thomas Wayne (Brett Cullen), für den alle Armen nur „Clowns“ sind, es tatsächlich ins Bürgermeisteramt schaffen, dann Gnade ihnen Gott.

 

„Das Ziel war nie, Joaquin Phoenix ins Universum der Superhelden-Filme einzuführen“, begründet Todd Phillips seine Wahl, „sondern die Superhelden-Filme ins Phoenix’sche Universum einzuführen“

 

Arthur dagegen ist nicht nur arm, er ist tatsächlich ein Clown, hauptberuflich sozusagen, tagsüber zum Mieten und nachts auf der Bühne als Stand-up-Act, dem eine große Karriere im Fernsehen vorschwebt. Nur verliert er bald seinen Job als Kids- und Straßen-Entertainer, als es ihm zunehmend schwerer fällt, ohne die nötigen Psychopharmaka das Lachen zu unterdrücken, das ihn immer wieder hilflos überfällt, auch wenn ihm gar nicht danach ist. Dann lacht er laut los, unkontrolliert und gezwungen, ohne Halt und ohne Filter. Es ist kein fröhliches Lachen, das da aus ihm hervorbricht, es ist, als müsste er sich plötzlich übergeben. Es tut weh, in den Ohren, aber auch beim Zusehen – ja, vor allem beim Zusehen.

Joker, in der Version von Phillips und Ko-Autor Scott Silver (8 Mile, The Fighter), bietet Fans und Skeptikern der Comic-
Figur eine Herkunftsgeschichte, die sie bisher nicht hatte, keine festgeschriebene immerhin. Phillips’ großer Plan war es, das Superhelden-Genre wieder menschlich zu machen und in unsere irdischen Sphären zurückzuholen, auf den Boden der Tatsachen und mit einer düsteren Charakterstudie im klassischen Sinn, wie sie einst Martin Scorsese in seinen frühen Jahren als Regisseur so meisterlich praktizierte. Die Referenzen zu The King of Comedy (1982), in dem Robert De Niros Möchtegern-Komiker Rupert Pupkin den beliebten TV-Talkmaster Jerry Langford entführt, sind offensichtlich. Nur dreht Phillips den Spieß diesmal um, indem er De Niro die Rolle des Star-Entertainers zuschreibt, die in Scorseses bissiger Satire über das Showgeschäft Jerry Lewis zukam. Aber damit nicht genug. Manchmal hat man das Gefühl, hier greift einer in die Kiste mit alten Videokassetten von damals, schaut ein bisschen Dog Day Afternoon (1975), ein bisschen Network (1976), dann wieder One Flew Over the Cuckoo’s Nest (1975) und findet am Ende schließlich auch noch eine abgegriffene Kopie von Alan Moores und Brian Bollands Graphic Novel „Batman: The Killing Joke“ (1988), die natürlich in einer Neuinterpretation des Joker-Mythos als Referenz auch nicht fehlen darf.

Und doch ist dieser Joker unter Phillips’ Führung und in Phoenix’ abgemagertem Körper so viel mehr als die Vielzahl der Teile, aus denen er sich zusammensetzt. Ist mehr als Nicholson in Tim Burtons Batman (1989) mit seinen zuckenden Augenbrauen und der breiten Mundmaske, und so ziemlich das genaue Gegenteil von Jared Letos protzigem Gangster-Clown in Suicide Squad (2016). Tatsächlich greift Phillips alle filmischen und literarischen Anhaltspunkte der vergangenen Jahrzehnte dankbar auf, arbeitet sie in die DNA seines Films ein und gibt am Ende eine ordentliche Prise Gegenwart sowie einen Hauch Zukunft dazu. Wer es darauf anlegt, kann in Phoenix den Joker der Trump-Ära sehen, so wie Ledgers radikale Verkörperung des Antihelden in Christopher Nolans The Dark Night (2008) als Sinnbild von Zerstörung und Selbstzermarterung im Post-9/11-Trauma fungierte. Auch Ledger, der damals förmlich aus dem Jenseits auferstanden schien (der Film kam wenige Monate nach seinem tragischen Tod infolge einer Überdosis an Schmerz- und Beruhigungsmittel in die Kinos), findet in dem Joker, wie ihn Joaquin Phoenix hier interpretiert, seinen Widerhall, vielleicht sogar den größten von allen. Und doch ist Arthur Fleck sein ganz eigener tragischer Fall, der es vor allem erlaubt, auch die persönlichen Gefühle und Gedanken auf ihn und seine Figur zu projizieren, unabhängig von den Hintergrundgeschichten, den Vorgängern und Nachahmern, die ihn umkreisen.

In der Hinsicht unterscheidet Joker sich auch visuell von dem Davor – insbesondere von allem, was Warner Bros. im Rahmen des DC-Extended-Universe-Franchise seit 2013 beharrlich produziert. Ein modriges Grün sowie kühle Blau- und Grautöne überziehen den Film, der auf den ersten Blick so unaufgeregt und gedämpft daherkommt, dass es zunächst fast eine Freude ist, bis Arthurs Wandel vom armen Irren zum irren Mörder seinen unwiderruflichen Lauf nimmt. Seine Maske mag ihn zunächst vor der Entlarvung schützen, wie einst John Wayne Gacy, der in den Siebzigern über dreißig Jungen vergewaltigte, ermordete und als „Killer Clown“ in die US-amerikanische Kriminalgeschichte einging, weil auch er sich zunächst unauffällig hinter Make-up und roter Nase versteckte, um anschließend seine Gräueltaten zu vollbringen. Auch Arthur kann nicht aus seiner Haut, ist gefangen in sich selbst wie in einem System, in dem er schon zu lange hin und her geschoben wurde. Ein Kranker, der seiner Krankheit Luft macht, bevor sie ihn zerdrückt. „Ich dachte immer, mein Leben sei eine Tragödie“, sagt er einmal, als sein Verstand längst zu schwinden beginnt und der Schmerz und die Wut im Bauch sich schließlich Bahn brechen wie jenes unbezähmbare, trockene Lachen in seinem Gesicht. „Aber jetzt weiß ich, es ist eine Komödie.“

Todd Phillips wusste von vornherein, dass es einen Ausnahmeschauspieler wie den 1974 in Puerto Rico geborenen Charakterkopf brauchen würde, um eine Figur wie Arthur Fleck im Kino glaubwürdig rüberzubringen. Also schrieb er den Film bereits mit Phoenix im Kopf. „Das Ziel war nie, Joaquin Phoenix ins Universum der Superhelden-Filme einzuführen“, begründet der Regisseur seine Wahl, „sondern die Superhelden-Filme ins Phoenix’sche Universum einzuführen.“ Eine hübsche Idee, freilich brauchte es zunächst, wie gesagt, noch einiger Überzeugungskunst, bis der Mann der Stunde letztlich einwilligte. Immerhin hatte Phoenix seit seiner ersten Oscar-Nominierung für Gladiator (2000) bald das Interesse am allzu kommerziellen Film verloren und sich lieber mit Auteurs zusammengetan, die sein Talent für komplexe, gestörte und gebrochene Figuren mit Gewaltpotenzial zum Leuchten zu bringen verstanden, von Paul Thomas Anderson über James Gray bis hin zu Lynne Ramsay und unlängst Jacques Audiard. Phillips, der sich als Regisseur der Hangover-Filme eher einen Namen als Spezialist für groben Männerhumor gemacht hatte, stand demnach nicht weit oben auf der Liste von Filmemachern, mit denen Phoenix auf der Höhe seiner Kunst zu arbeiten gedachte. Doch er hatte da so ein Gefühl, und dass er einmal mehr seinem Instinkt folgte, ist ein großes Glück fürs Kino.

Joker mag finster sein und verstörend, bisweilen brutal, provozierend und in seiner Darstellung von psychischer Krankheit nicht immer durchgehend elegant. Dennoch ist Phillips ein Film gelungen, der nicht nur zu bestürzen, sondern zugleich auch zu begeistern vermag, der filmisch beeindruckt und emotional unter die Haut geht.

Wie einst Travis Bickle ist auch Arthur Fleck ein „schwarzer Engel“. Wie die Titelfigur in Scorseses Taxi Driver (1976) macht auch er sich daran, die Stadt zu säubern – wohlweislich ein undankbares Unterfangen. Doch wenn Phoenix plötzlich wieder auf dem Stuhl sitzt und ausführen soll, was es denn nun genau mit seinem traurigen, labilen, unberechenbaren Clown auf sich hat, verschwimmt das Bild erneut. Denn Arthur Fleck lässt sich nicht fassen, nicht in Worte und Begrifflichkeiten und auch nicht in Bilder. Nicht umsonst ist er der Joker – vielleicht sogar der wahrhaftigste aller Zeiten.