ray Filmmagazin » Themen » Kontinuierliches Möglichmachen
Lixi Frank und David Bohun © Nina Nauber
Lixi Frank und David Bohun; Foto: © Nina Nauber

Interview

Kontinuierliches Möglichmachen

| Jakob Dibold |
Die deutsch-österreichisch-schweizerische Koproduktion „Die Theorie von Allem“ wurde in den Wettbewerb um den Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen von Venedig eingeladen. Großen Anteil daran hat die österreichische Produktionsfirma Panama Film, die seit der Gründung 2018 eine klare Vision verfolgt. Ein Interview mit dem Leitungsduo Lixi Frank und David Bohun.

Vier erste Kinofilme, die sich sehen lassen können: Der dritte Langfilm von Sebastian Brameshuber, Bewegungen eines nahen Bergs, wurde 2019 beim Cinéma du Réel in Paris mit dem Grand Prix ausgezeichnet, Sandra Wollners The Trouble With Being Born 2020 mit dem Spezialpreis der Jury in der Berlinale-Sektion Encounters prämiert (es folgten einige weitere Preise, darunter zwei österreichische Filmpreise sowie der Preis der deutschen Filmkritik), auch Jannis Lenz’ Soldat Ahmet schaffte es im Covid-Jahr 2021 mit einigem Erfolg in zahlreiche Official Selections und Wettbewerbe, gewann u. a. den Preis für den Besten österreichischen Film beim This Human World Festival. Und Anfang dieses Jahres feierte Stams von Regisseur Bernhard Braunstein (Interview) seine Weltpremiere im Berlinale-Panorama. Diese Produktionen, die alle auf ihre ganz eigene Weise zum Interessantesten zählen, das die österreichische Filmlandschaft in den letzten Jahren hervorgebracht hat, bedeuten nicht einfach „nur“ den Erfolg der ersten Jahre der 2018 gegründeten Panama Film, sie belegen trotz ihrer inhaltlichen Unterschiede die klare Linie einer Produktionsfirma, die weiß, was sie will. Mit einer ausgeprägten Vorstellung dessen, was ein Projekt an künstlerischen Ambitionen mitbringen soll, Interesse an ungewöhnlichen Erzählformen sowie dem Anspruch, mit den Filmschaffenden auch in kreativer Hinsicht zusammenzuarbeiten – nicht zu vergessen natürlich dem dafür nötigen hohen Maß an Engagement und Entschlossenheit –, etablieren sich die Panama-CEOs Lixi Frank und David Bohun in der heimischen Branche und darüber hinaus.

Die Theorie von Allem lautet der Titel ihres aktuellsten Projekts, versprochen wird ein „quantenmechanischer Thriller in Schwarzweiß“: Gedreht im leerstehenden Südbahnhotel am Semmering-Pass, wartet auf einem Physik-Kongress alles auf einen mit Spannung antizipierten Vortrag, als ein Mord geschieht, sich eine rätselhafte Wolkenformation am Himmel zeigt und eine mysteriös gut informierte Pianistin verschwindet … Zwei Wochen vor der großen Uraufführung am venezianischen Lido – in die österreichischen Kinos kommt der Film am 10. November – sprechen Lixi Frank und David Bohun, deren Arbeit ebenso einen nicht in Zahlen messbaren Anteil am Entstehen dieses Films hat, außerdem über ihre Arbeitsphilosophie, ihre kreative Zusammenarbeit mit Filmschaffenden, das Cannes-Netzwerkprogramm „Producers on the move“ sowie Green Filming.

 

„Die Theorie von Allem“ wurde in den Wettbewerb von Venedig eingeladen. Nach Wettbewerben bei der Berlinale, beim Visions du Réel und Cinéma du Réel ist das nun der „größte Auftritt“ bis jetzt. Wie viel bedeutet das für eine noch „junge“ Produktionsfirma?
David Bohun: In erste Linie bedeutet das natürlich eine enorme Wertschätzung für die Arbeit, die wir nun seit unserer Gründung vor fünf Jahren machen, die Arbeit, der wir uns verschrieben haben. Der Katalog von Panama Film ist sehr klar positioniert hinsichtlich dessen, wo wir mit unseren Filmen hinwollen: Wir möchten uns im internationalen Arthouse-Bereich ausrichten und wählen unsere Projekte sehr sorgsam aus. Dabei geht es uns nicht nur um den Inhalt, sondern vor allem die Form, in der eine Geschichte erzählt werden will, steht für uns besonders im Vordergrund.

Lixi Frank: Ja, es ist eine Bestätigung dessen, was wir mit Panama Film immer vorgehabt haben: Filme zu produzieren, die international reüssieren und in den Wettbewerben der renommiertesten Filmfestivals vertreten sind. Dass das so kontinuierlich und schnell gelungen ist, bestätigt uns in unserer Arbeit, denn wir sind sehr stark in die Projekte involviert, wählen, wie gesagt, die Projekte und die Leute, mit denen wir arbeiten, mit viel Bedacht aus. Jetzt im Hauptwettbewerb eines A-Festivals zu sein ist ein großer Erfolg für das Projekt und auch ein großer Schritt für uns – Die Theorie von Allem ist unsere erste große trilaterale Koproduktion und bedeutete einen ziemlichen Kraftakt. Umso schöner, dass der Film so viel Wahrnehmung findet.

Der Film ist eine Koproduktion, Ihr Anteil beträgt 35% – doch der Ursprung des Films ist eng mit Panama Film verknüpft? Timm Kröger war Bildgestalter bei The Trouble With Being Born, seine mit Viktoria Stolpe gegründete Produktionsfirma The Barricades auch damals euer Partner … Wie wichtig ist so eine Kontinuität und wie ist dieses aktuelle Projekt konkret gewachsen?
Lixi Frank: Es stimmt, Die Theorie von Allem ist stark aus dem Dreh von The Trouble With Being Born gewachsen. Timm Kröger hat Kamera gemacht, Viktoria Stolpe war Koproduzentin und Roderick Warich Ko-Autor. Wir haben diese „Truppe“ rund um Sandra Wollner sehr gut kennengelernt und nach dem Dreh war sowohl klar, dass wir gerne mit ihr als Regisseurin weiterarbeiten wollen, als auch mit Viktoria und Timm beziehungsweise Roderick. Sie kamen rasch mit diesem neuen Projekt, das sie schon einige Jahre entwickelt hatten, auf uns zu, weil sie auf der Suche nach einer Koproduktion waren. Wir wussten um Timms kreative Qualitäten, das Drehbuch war extrem ausgereift und wir haben viel darangesetzt, in dieser Konstellation – diesmal mit Timm als Regie und Viktoria als Produzentin – weiterzuarbeiten. Timm hatte das Südbahnhotel als Drehort schon länger im Blick und wir haben dann beschlossen, alle Außenlocations nach Österreich zu verlegen, obwohl die Geschichte in der Schweiz spielt. Parallel haben die beiden in Deutschland eine Produktionsfirma gesucht, die das Projekt majoritär gemeinsam mit ihnen stemmt.

David Bohun: Ich erinnere mich jetzt gerade aber auch an so manche Gespräche, in denen wir überlegt haben, ob der Film nicht auch mit etwa 1,7 Millionen zu machen ist … Wir wollten diesen Film einfach unbedingt umsetzen. Das ist bezeichnend für den Spirit rund um Sandra, Timm und Viktoria – sie versuchen eine Vision, die sie haben, wirklich umzusetzen, auch wenn das bedeutet, dass man fehlende finanzielle Mittel durch kreative Ideen und übermäßige Energie und Ressourcen ausgleichen muss. Vom kaufmännischen Standpunkt her erkannten wir alle jedoch bald, dass sich der Film um das Geld nicht ausgeht, denn das historische Sechziger-Jahre-Setting sowie die ganzen Locations und Reisen kosten einfach viel Geld.

Lixi Frank: Weil am Ende noch Geld fehlte, zogen wir die Schweiz hinzu. Der Kontakt zum dortigen Partner Catpics kam dann über Heino Deckert von ma.ja.de., dem deutschen Majoritätspartner, zustande. Auch da schließt sich ein kleiner Kreis: Bei Der Grüne Wellensittich, dem neuen Film von Elsa Kremser und Levin Peter, sind wir abermals mit Heino Deckert in der Koproduktion. Auch hier ist also eine gewisse Kontinuität zu sehen.
Wie David schon angedeutet hat, ist uns die Verbundenheit mit den Filmschaffenden enorm wichtig. Wir schätzen es sehr, wenn diese den absoluten Willen haben, Filme zu machen und dafür Wege und Lösungen suchen. Und das zeichnet auch uns als Firma aus: Wir setzen uns mit den Filmschaffenden zusammen und überlegen gemeinsam, wie wir das Projekt realisieren können. Es geht uns darum, eine starke Vertrauensbasis aufzubauen: Nie das Gefühl zu geben, dass man etwas verhindert, sondern immer zu versuchen, etwas zu ermöglichen.

Der Katalog von Panama Film und die Art und Weise, wie Sie Ihre Arbeit beschreiben, strahlt beinahe eine Form von kollektiver Struktur aus … Bewegt sich die Firma in Richtung eines kollektiven Filmschaffens?
David Bohun: Prinzipiell ist kollektives Filmemachen sehr spannend für uns, aber es ist nicht so, dass Panama selbst aktiv versucht, ein Filmkollektiv zu spannen. Ich glaube, jede Filmemacherin und jeder Filmemacher, mit der, dem wir arbeiten, hat einen sehr eigenen Zugang und Panama Film soll ein Ort des Vertrauens sein. Was wir wollen, ist voll und ganz hinter dem filmischen Zugang, der filmischen Handschrift zu stehen. Dabei streben wir nach längerfristiger Zusammenarbeit, weil es uns interessiert, gemeinsam mit den Filmemacherinnen und Filmemachern zu wachsen. Im Vordergrund steht bei uns ganz klar Kontinuität: Mit Sandra Wollner arbeiten wir an ihrem Folgeprojekt Every-time, das wir mit Sandra Hüller in der Hauptrolle nächstes Jahr drehen werden, ebenso mit Sebastian Brameshuber, dessen neuer Film Bei aktueller Verkehrslage jetzt im September Drehstart hat. Mit Sebastian ist das bereits die dritte Zusammenarbeit.

Gleichzeitig versuchen wir auch, mit den Filmschaffenden gemeinsam den nächsten Schritt zu gehen. So wie zum Beispiel beim schon angesprochenen Der Grüne Wellensittich, der gerade in Belarus und Lettland gedreht wird. Das Regie-Duo Elsa Kremser und Levin Peter, die auch mitproduzieren, hatten davor den vielfach ausgezeichneten Dokumentarfilm Space Dogs realisiert. In ihrem neuen Projekt verweben sie nun dokumentarische Settings und reale Biografien von Laiendarstellerinnen und Laiendarstellern zu einem bildgewaltigen Spielfilm. Dieses Projekt stellt uns alle nicht nur aufgrund der Drehländer und der politischen Situation vor enorme Herausforderungen.

Lixi Frank: Oder wie bei Lilith Kraxner und Milena Czernovsky, deren Projekt Beatrix uns letztes Jahr sehr beeindruckt hat und mit denen wir uns aktuell mit dem Projekt Witterungen (Arbeitstitel) in der Schnittphase befinden.
Wir versuchen immer, ganz individuell zu betrachten, was ein Projekt braucht, was die Regie braucht, was der richtige Weg für diesen bestimmten Film ist. Jede Person funktioniert anders, und es ist extrem wichtig, darauf einzugehen. Lilith und Milena etwa sind ja auch Filmemacherinnen, die stark von der Idee des Kollektiven kommen und ihnen ist es in ihrer filmischen Arbeit wichtig, ein eher kleines Team mit flachen Hierarchien zu haben. Das ist ein anderes Filmemachen als etwa bei Die Theorie von Allem, einem historischen Spielfilm mit drei Millionen Euro Budget, bei dem vierzig Leute am Set sind, dort funktioniert alles ein bisschen „klassischer“. Auf diese Unterschiede und Eigenheiten einzugehen ist das Allerwichtigste. Und wir leben natürlich auch von dem Ruf, den wir bei Filmschaffenden haben, davon, dass sie uns weiterempfehlen. So kommen immer wieder spannende Projekte zu uns, denn Filmschaffende sind ja untereinander sehr gut vernetzt, wissen, wem sie vertrauen können und achten sehr stark darauf, wie die Zusammenarbeit mit den Produktionsfirmen abläuft.

Wie gestalten sich die Arbeitsprozesse mit Elsa Kremser und Levin Peter an Der Grüne Wellensittich und mit Sebastian Brameshuber an Bei aktueller Verkehrslage auf kreativer Ebene?
Lixi Frank: Bei Der Grüne Wellensittich war das besonders intensiv, weil wir mit dem Projekt am TorinoFilmLab FeatureLab teilgenommen haben. Dort verbringt man einige Wochen gemeinsam am Drehbuch und arbeitet aus verschiedenen Perspektiven an der Projektentwicklung. Es hat sich gelohnt, sich diese Zeit zu nehmen und wirklich nur über die kreativen Dinge zu sprechen. Obwohl wir natürlich stets versuchen, inhaltlich eng dabei zu sein und konstruktives Feedback zu geben, ist das im Alltag viel schwieriger. Generell ist uns immer wichtig, dass unser Feedback dazu führt, dass die Filmemacherinnen und Filmemacher ihren eigenen Weg finden, um ihre Handschrift weiterzuentwickeln. Es soll kein Bewerten des Stoffs sein, kein Mitteilen, „dass etwas so gar nicht geht“ – all das versuchen wir zu vermeiden. Aber regelmäßig über das Inhaltliche zu reden ist immens wichtig. Auch bei Der Grüne Wellensittich gab es, obwohl Elsa und Levin den Stoff schon lange entwickelt hatten, noch intensive Drehbuch-Sessions, in denen sie das Buch immer wieder adaptiert haben. Wie bereits angesprochen, arbeiten die beiden mit Laien als Schauspielenden, was mit sich bringt, dass sich immer wieder neue Dinge ergeben, die eingearbeitet werden können.

David Bohun: Sebastian Brameshuber ist einer jener Filmemacher mit sehr starker eigener Handschrift, und ähnliche wie Elsa Kremser und Levin Peter jemand, der mit dem Fiktionalen immer ein bisschen spielt. Bei aktueller Verkehrslage begleiten wir seit der ersten Idee. Anfangs war das Projekt sehr stark an der Geschichte der Westautobahn aufgehängt und Sebastian hatte parallel dazu ein anderes Projekt, bei dem es um Mitfahrgelegenheiten ging, schlussendlich hat er dann beide „gemerged“: Die Idee der Gespräche in Mitfahrgelegenheiten, zwischen Leuten, die sich in einem klar abgegrenzten Zeitraum begegnen, wo viel Spannendes entstehen kann, wurde entlang der Westautobahn gelegt. In diesem prozesshaften Arbeiten sind wir ständige Sparring-Partner für Sebastians Ideen und geben Inputs.

David Bohun, Sie haben Panama Film heuer bei der Cannes-Reihe „Producers on the move“ vertreten. Wie war diese Erfahrung, haben sich die Erwartungen daran erfüllt?
David Bohun: Es gibt Workshops, die mehr auf inhaltlichen Austausch ausgelegt sind, aber gerade bei „Producers on the move“ steht klar das Erweitern des eigenen Netzwerks und der Blick auf internationales Koproduzieren im Vordergrund. Das Spannende an diesem Programm ist, dass die Auswahl der Teilnehmenden sehr klar und eingeschränkt ist, sodass alle schon einiges, aber nicht „zu viel“ an Erfahrung mitbringen. Von diesen sehr unterschiedlichen und vielseitigen Erfahrungen des Filmemachens zu lernen, war super interessant. Zusätzlich traf man im Rahmen des Programms auch wichtige Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger der internationalen Filmbranche, wie Redakteurinnen und Redakteure von Fernsehanstalten, Förderreferentinnen und Förderreferenten und so weiter, zu denen man sehr direkten Zugang hatte. Insofern hat das Programm meine Erwartungen absolut erfüllt. Und es sind auch schon Überlegungen zu möglichen zukünftigen Koproduktionen daraus entstanden.

Zum Stichwort Zukunft muss man auch über Green Filming sprechen. Wie geht Panama Film an das Thema heran?
Lixi Frank: Bei Die Theorie von Allem haben wir dahingehend noch weniger bewusst gehandelt, der Dreh liegt schon weit zurück und es gab damals noch keine konkreten Richtlinien. Doch aus Budgetgründen war beispielsweise klar, dass wir viel wiederverwenden müssen und es uns auch gar nicht leisten können, etwa Kostüme extra herstellen zu lassen. Wir haben also in dieser Hinsicht sehr nachhaltig gearbeitet. Aktuell bei der Arbeit an Witterungen (Arbeitstitel) haben wir Green Filming stringent durchgezogen, das war ein ideales Projekt dafür: Erstens war der Aspekt allen Beteiligten von vornherein wichtig und zweitens wurde nur in Wien gedreht, wir mussten also kaum Autos verwenden und haben auch nur mit Available Light gearbeitet, sprich keine Lampen aufgestellt. Ich denke generell, dass Green Filming mit der Zeit immer einfacher umzusetzen wird, es wird sich in den kommenden Jahren weiterhin viel tun. Mit dem finanziellen Anreiz für grünes Produzieren von Fördergeberseite gibt es auch ein probates Mittel, mit den Mehrkosten umzugehen. Und das Ganze ist auch ein Stück weit eine Generationenfrage: Vieles, was nie hinterfragt wurde, will die jüngere Generation an Filmschaffenden ohnehin gar nicht mehr.