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Fuchs-im-Bau

Festival. Ein Schwerpunkt

Neustart

| Oliver Stangl |
Die Diagonale, Österreichs Filmfestival und Branchentreff unter südlicher Sonne, findet, von 8. bis 13. Juni in Graz statt.

Die Grazer Diagonale war 2020 das erste Pandemieopfer unter den heimischen Filmfestivals. Immerhin konnten die Intendanten Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber Teile des Programms – über das Jahr verteilt und unter dem Titel „Die Unvollendete“ – nachholen. Man gastierte dabei im virtuellen Raum ebenso wie in Auto- und Sommerkinos und letztlich mit einer eigenen Schiene bei der glücklicheren, weil live stattfindenden Viennale.
Die Diagonale 2021 in den Sommer zu schieben, war keine schlechte Entscheidung, wenn es nach den – zumindest zu Redaktionsschluss noch geltenden – Lockerungen im Kulturbereich geht. Was die Sicherheitsmaßnahmen betrifft, orientiert man sich an den Covid-19-Sicherheitsmaßnahmen der Viennale 2020, die offensichtlich gut funktioniert haben. Außerdem ist ein begleitendes Onlineprogramm geplant: Teile des Filmprogramms sowie Branchentalks und Diskussionen gibt es per Stream zu sehen. Zudem wurde das Programm nach Diagonale-Eigenangaben so gestaltet, dass es sich schnell und flexibel adaptieren lässt.

Eröffnet wird mit Arman T. Riahis Fuchs im Bau: In dem Gefängnisschuldrama geht es um die Lehrerin Elisabeth Berger (Maria Hofstätter), die den jugendlichen Straftätern mit unkonventionellen Methoden gegenübertritt. Als der neue Lehrer Fuchs dazukommt, gibt es zuerst Konflikte mit Berger, doch tritt schnell die Beziehung zur 16-jährigen androgynen Samira in den Mittelpunkt: Als diese Opfer eines sexuellen Übergriffs wird, gelingt es Fuchs, Vertrauen zu ihr aufzubauen – die beiden arbeiten schließlich gemeinsam ihre Traumata auf. Beim Filmfestival Max Ophüls Preis 2021 wurde Fuchs im Bau mit drei Preisen ausgezeichnet – Beste Regie, Drehbuchpreis und Preis der Jugendjury.

Die diesmal Ulrike Ottinger gewidmete Schiene „In Referenz“ versteht sich laut Diagonale-Eigendefiniton als „Kitt in der Festivalarchitektur. Filme werden zueinander und zwischen den unterschiedlichen Programmschienen platziert, internationale Arbeiten treffen auf Filme österreichischer Provenienz.“ Im Rahmen einer gemeinsamen Tour mit dem Österreichischen Filmmuseum und Crossing Europe Filmfestival Linz präsentiert die Diagonale dabei Ottingers Paris Calligrammes (2019). Die deutsche Filmemacherin wird bei den Screenings in Linz, Wien und Graz persönlich anwesend sein. In ihren dokumentarischen Arbeiten war Ottinger oft an der Geschichte von Orten interessiert, etwa in Prater (2008). In Paris Calligrammes verbindet sie eine Paris-Reflexion mit einem Selbstporträt: Ottinger kennt die Stadt bereits seit den frühen sechziger Jahren, als sie in einer Art Exil lebte und sich als Künstlerin erprobte. Im Film wird dabei ein so nicht mehr existentes Paris zum Leben erweckt – das Paris der Literatencafés ebenso wie jenes der 68er-Generation. Archivmaterial wird dabei mit Ottingers eigenen Arbeiten aus jener Zeit verknüpft.

Die Reihe „Zur Person“ ist diesmal Jessica Hausner gewidmet, die sich ihren Themen und Genres – von Thriller bis Sci-Fi – stets mit distanziert-artifiziellem Blick nähert. Dies ist übrigens auch gleich eine gute Gelegenheit, die Kameraarbeit Martin Gschlachts konzentriert zu betrachten, der alle Langfilme Hausners mit großer Präzision ins Bild gerückt hat – egal ob es sich um Tableaus handelt oder um Hommagen an andere Filmemacher (darunter etwa die an Tati orientierte Eröffnungssequenz von Hausners wohl populärstem Film, Lourdes). Ergänzt wird „Zur Person“ durch ein ausführliches „Diagonale im Dialog“ im Anschluss an das Screening von Little Joe sowie durch eine Listening Session mit Jessica Hausner und Attwenger-Hälfte Markus Binder, in der die beiden entlang ausgewählter Lieblingsmusikstücke anekdotisch über ästhetische Ansichten und persönliche Vorlieben plaudern. Außerdem ist die Buchpräsentation „Aus der Werkstatt“ ebenfalls Hausner gewidmet. Die Intendanten sehen Hausners Kino als „eines, das dem gegenwärtigen Authentizitätsfetisch selbstsicher mit größter Künstlichkeit antwortet und dabei umso treffsicherer die Beschaffenheit unserer Welt zu beschreiben vermag – auch um diese zu kritisieren.“

Das Special „Sehnsucht 20/21 – Eine kleine Stadterzählung“ will zeigen, wie sehr die „gebaute Stadt“ und die „Stadt als Gesellschaft“ mit Bewohnern, Durchreisenden oder Eindringlingen verschränkt sind. Zu sehen gibt es hier etwa Michael Glawoggers Megacities aus dem Jahr 1998. Im Bereich Spielfilm vertreten ist u.a. die neue Arbeit des austro-indischen Regisseurs Sandeep Kumar, die in der Großstadt Lucknow angesiedelt ist: Die 82-jährige ehemalige Schauspielerin Mehrunisa (so auch der Titel) beginnt zum Entsetzen ihrer Tochter und der Bediensteten, sich von ihrem eben verstorbenen Ehemann zu distanzieren. Ja, sie will sogar wieder in einem Film spielen, einem Bollywood-Epos über den Unabhängigkeitskrieg. Doch weil sie findet, dass die Frauenrollen zu marginal sind, schreibt sie gemeinsam mit ihrer Enkelin Aliya kurzerhand das Drehbuch um. Der Film feierte seine Premiere im Jänner beim Festival in Goa.

Weiters dabei sind Evi Romens Drama Hochwald (das auch mehrfach für den Österreichischen Filmpreis 2021 nominiert ist), Jasmila Žbanićs Oscar-nominierte Srebrenica-Reflexion Quo Vadis, Aida? oder Michael Kreihsls Nierenspender-Tragikomödie Risiken und Nebenwirkungen (Hauptdarsteller Thomas Mraz ist ebenfalls für einen Österreichischen Filmpreis im Rennen). Im Doku-Programm vertreten sind Rainer Frimmel und Tizza Covi mit ihrer in Schwarzweiß gehaltenen historischen Wiener Strizzimilieu-Studie Aufzeichnungen aus der Unterwelt, Harald Aues Bernhard-Paul-Porträt Ein Clown | Ein Leben oder Pavel Cuzuiocs Bitte warten, in dem die Dichotomie von Globalisierung und Vereinzelung anhand des Alltags von osteuropäischen IT-Technikern verdeutlicht wird.

Vergeben werden auch wieder gut dotierte Preise, darunter der Große Diagonale-Preis des Landes Steiermark (je 15.000 Euro für den Besten Spielfilm und den Besten Dokumentarfilm) oder der Kurzspielfilm-Preis (2.500 Euro).

www.diagonale.at