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PETITE-MAMAN

Filmkritik

Petite Maman – Als wir Kinder waren

| Maxi Braun |
Einfühlsames Porträt einer Mutter-Tochter-Beziehung

Müsste man Céline Sciammas Filmschaffen in nur einem Wort beschreiben, wäre Empathie der richtige Begriff. Ob es um die erwachende Sexualität von Teenagern (Water Lilies), queere Charaktere (Tomboy, Porträt einer jungen Frau in Flammen) oder eine schwarze Clique (Mädchenbande) geht, Sciamma fühlt sich ein wie kaum eine andere Regisseurin. Das gilt auch für Petite Maman, bei dem nun zwei kleine Mädchen im Mittelpunkt stehen.

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Ein paar Äste, Herbstlaub und eine selbst gebaute Hütte auf einer einsamen Lichtung – mehr braucht es für Nelly und Marion nicht, um Freundschaft zu schließen. Nelly ist mit ihren Eltern zum ersten Mal an dem Ort, an dem ihre eigene Mutter aufgewachsen ist, um das Haus der gerade verstorbenen Oma auszuräumen. Im Wald dahinter trifft sie die gleichaltrige Marion, und Nelly merkt schnell: Ihre neue Freundin ist ihre eigene Mutter, 25 Jahre in der Vergangenheit. Was in einem typischen Science-Fiction-Plot für Paradoxa und Verwirrung sorgen würde, nimmt Nelly schnell als gegeben hin und wechselt mühelos zwischen den Zeitebenen.

Sciamma erforscht diese Versuchsanordnung aus konsequent kindlicher Perspektive. Möglich wird das erst durch die Zwillinge Joséphine und Gabrielle Sanz, die als Nelly und Marion die Geschichte souverän tragen. Tausend Fragen zeichnen sich in Nellys Gesicht ab, einer Erklärung oder überhaupt viel Dialogs bedarf es aber kaum. Auch visuelle Markierungen, die helfen würden, den Übergang zwischen den Zeitebenen anzudeuten, werden nur sparsam verwendet. Lediglich das Haus der Großmutter ist als Fixpunkt der Handlung mal leer und verlassen, mal heimelig bewohnt. Wo in Porträt einer jungen Frau in Flammen, für den Sciamma bereits mit Bildgestalterin Claire Mathon arbeitete, visuelle Opulenz die aufbrandende Begierde auf der Bildebene zum Ausdruck brachte, ist Petite Maman schlicht und unprätentiös. Die Magie entsteht – analog zum Rollenspiel, das die Mädchen im Film miteinander spielen – in ihrer und unserer eigenen Phantasie. Ein Schauder, der das märchenhafte Setting subtil unterwandert, bleibt dabei bestehen, so dass sich ein Schatten am Fußende des Bettes jederzeit in einen Panther verwandeln könnte.

Im Kern handelt Petite Maman von Trauer und Verlust, einer komplizierten Mutter-Tochter-Beziehung und dem unerbittlichen Verstreichen der Zeit. Der Film feiert aber vor allem die kindliche Fähigkeit, ganz im Hier und Jetzt zu sein und die glücklichen Momente in vollen Zügen auszukosten. Auch und gerade im Bewusstsein ihrer Vergänglichkeit.