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Carly Chaikin in Sam Esmails Mr. Robot

Serien. Ein Dossier

Seriensieger

| Andreas Ungerböck |
Sam Esmail hat mit „Mr. Robot“ (lang) und „Homecoming“ (kürzer) zwei der herausragenden Serien der letzten Jahre geschaffen. Derzeit arbeitet er unter anderem an der Wiederaufnahme des Sci-Fi-Fernsehserien-Klassikers „Battlestar Galactica“. Eine Würdigung.

Den Versuch war es wert, aber zu sprechen sei Mr. Esmail „derzeit leider nicht“, weil er „deep in production“ sei. Das Email seiner PR-Beauftragten ist ebenso freundlich wie kurz. Allzu enttäuscht sollte man aber nicht sein, denn wenn Sam Esmail „deep in production“ ist, dann kann man mit hundertprozentiger Sicherheit davon ausgehen, dass dabei etwas Aufsehenerregendes herauskommt. Nach Mr. Robot (vier Staffeln, 46 Episoden, 2015–2019) und Homecoming (zwei Staffeln, 17 Episoden, 2018–2020) ist das keine gewagte Prognose. Man sehe sich nur die User-Ratings in der Internet Movie Database an: Die letzten drei Episoden der vierten Staffel von Mr. Robot etwa haben 9,5, 9,6 und 9,9. Das titanenhafte Unterfangen, eine rund 45-stündige Serie nicht nur zu schreiben und zu produzieren, sondern auch noch bei neunzig Prozent der Episoden Regie zu führen und dabei allerhöchste Qualität abzuliefern, gelang dem 1977 in Hoboken, New Jersey, geborenen Sam Esmail, der, um das nach heutigen Gepflogenheiten korrekt anzugeben, „ägyptische Wurzeln“ hat, obwohl er vorher gerade einmal einen Kurzfilm und einen im US-Kabelfernsehen ausgestrahlten Langfilm (Comet, 2014) zu Buche stehen hatte. Allerdings galten zwei seiner bis heute unverfilmten Drehbücher, Sequels, Remakes & Adaptations und Norm the Movie längere Zeit als „hot tickets“.

Mindfuck

„Mr. Robot is electrifying entertainment. Riding a current between activism and anarchy, Sam Esmail’s kinky cyber-thriller acts as a hallucinatory looking glass – where nihilism is inspired by Christian Slater’s mysterious ,fsociety‘ and contemporary fears are reflected in the mesmerizing eyes of Rami Malek.“ Besser als die Jury der American Film Institute Awards, die die Serie 2016 als „TV Event of the Year“ auszeichnete, kann man es kaum zusammenfassen. Mr. Robot ist alles zusammen: Hacker-Drama, Gesellschaftssatire, Science-Fiction, Utopie, Dystopie, politischer Kommentar, Liebesgeschichte, Psychodrama, aber vor allem: Mindfuck hoch drei. Dass das Projekt ursprünglich als ganz normaler Spielfilm geplant war, ist ebenso wahr, wie es im Nachhinein absurd erscheint. Esmail erzählt, er sei noch mitten in der Exposition gewesen, als das Drehbuch schon auf 90 Seiten angewachsen war.

Der Versuch einer halbwegs umfassenden Inhaltsangabe ist zum Scheitern verurteilt. Sagen wir so: Es geht um den New Yorker Computer-Spezialisten und genialen Hacker Elliot Alderson, gespielt von Rami Malek, ebenfalls „mit ägyptischen Wurzeln“, noch vor seiner Oscar-prämierten Freddie-Mercury-Imitation in Bohemian Rhapsody (Rami Malek im Interview – ray 11/2018). Elliot arbeitet in der Firma AllSafe, die u.a. die Sicherheitssysteme des globalen Kraken-Konzerns ECorp, auch ganz offen „Evil Corp“ genannt und ganz offensichtlich an realen Vorbildern orientiert, betreut. Eines Tages lernt er einen Mann (Christian Slater) kennen, der sich als Mr. Robot vorstellt und Elliot dazu überreden will, mit der Hackergruppe „fsociety“ eine großangelegte Cyber-Attacke auf ECorp durchzuführen. Bis es allerdings soweit ist, vergeht einige Zeit, aber danach ist die Welt nicht mehr wie vorher. So weit, so gut.

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Das ist aber nur einer von mehreren Erzählsträngen, die immer wieder auseinanderdriften, zusammenfinden, Haken schlagen oder abbrechen, um viel später wieder aufgenommen zu werden. Überhaupt ist die „äußere Handlung“, wenn man sie überhaupt so nennen kann, nur die Spitze des Eisbergs. Denn vieles spielt sich in Elliots Kopf ab, passiert also eventuell gar nicht real (oder doch?) und noch dazu auf verschiedenen Zeitebenen. Sehr vieles davon hat mit Elliots Kindheit zu tun, sehr vieles mit dem Verhältnis zu seinem Vater, zu seiner Schwester Darlene (Carly Chaikin), zu seiner Jugendfreundin Angela Moss (Portia Doubleday), zum rätselhaften ECorp-Mann Tyrrell Wellick (Martin Wallström) und zum Big Boss der Firma, Philip Price (Michael Christofer). Aber das ist noch lange nicht alles, denn da ist noch die zentrale Figur der/des enigmatischen Whiterose (BD Wong). Auch Bobby Canavale spielt als Irving eine wichtige Rolle, obwohl er nur in neun Episoden vorkommt. Und nicht zu vergessen die FBI-Agentin Dom DiPierro oder Elliots Psychotherapeutin oder eine fiese Killerin namens Janice oder Leon, der Elliot immer wieder Hinweise gibt, um nur einige zu nennen.

Sam Esmail hat ein unglaublich reichhaltiges Panoptikum an Figuren aufgeboten, und es ist atemberaubend, wie er die Beziehungen zwischen ihnen aufrecht- und die Fäden der Geschichte zusammenhält. Für uns Zuschauende ist es oft gar nicht leicht, das Geschehen und seine Wendungen nachzuverfolgen, aber irgendwann, wenn man glaubt, es ginge nicht mehr weiter, stellt man verblüfft fest, dass alles wieder Sinn ergibt. Und das große Finale, also in etwa die letzten vier, fünf Folgen, die haben es wirklich in sich und gehören wohl zum Besten, was narratives Erzählen im Film in den letzten Jahren hervorgebracht hat.

Esmail selbst hat in einem Interview mit dem Radiosender „Deutsche Welle“ betont, er habe Mr. Robot nie primär als Serie gesehen, sondern als „große filmische Erzählung“: „Wir erzählen eine durchgehende Geschichte und schneiden sie dann in zehn Stücke, vor allem aus organisatorischen Gründen. In Hollywood herrscht die Denkweise vor, TV sei ein Autoren-Medium. In meinen Augen kann es genauso gut ein Filmemacher-Medium sein.“ Entstanden sei das Projekt, so Sam Esmail, vorrangig aus dem Bestreben, endlich einmal realistisch zu zeigen, was es mit dem Thema Hacken wirklich auf sich hat. Als Berater stand ihm dabei unter anderem ein FBI-Cybercrime-Spezialist zur Seite, aber auch einschlägig Bewanderte aus dem Untergrund. Edward Snowden, so heißt es, sei sehr angetan gewesen von der Serie. Eine „Botschaft“, so Esmail, habe er nicht verfolgt, es sei ihm eher darum gegangen, eine Diskussion über ein brisantes Thema anzuregen: die zunehmende Vereinsamung. Während die Möglichkeiten zu kommunizieren ständig mehr und besser würden, hätten die Menschen durchschnittlich viel weniger Freunde als früher: „Wir werden immer mehr zu einer sehr einsamen Gesellschaft. Und ich glaube nicht, dass das Zufall ist. Das hat viel mit der Entwicklung der Technologie zu tun.“

Mindestens ebenso bewundernswert wie die Leistung von Master Mind Esmail selbst ist die des gesamten Ensembles, das großteils aus, jedenfalls hierzulande, nicht allzu prominenten Schauspielerinnen und Schauspielern besteht. Dennoch ragen Rami Malek und Christian Slater, die beide die Serie auch mitproduziert haben, schon allein wegen ihrer Mammut-Rollen hervor. Während Malek ja längst als aufgehender Stern gilt, stand die Karriere Slaters, schon früh bekanntgeworden als Kinder-Schauspieler und Top-Star der neunziger Jahre, schon mehrmals vor dem Aus. Seine zum Teil heftigen Zusammenstöße mit dem Gesetz wegen Schusswaffen- und Drogenbesitzes, häuslicher Gewalt und Widerstand gegen die Staatsgewalt schadeten seiner Reputation nachhaltig. Doch das ist Vergangenheit. Als Mr. Robot jedoch zeigt sich Slater auf der Höhe seines Schaffens; demnächst wird der heute 52-Jährige in der Miniserie Dr. Death neben Alec Baldwin zu sehen sein.

Noch mehr Mindfuck

Zwischen der dritten und vierten Staffel von Mr. Robot schrieb und drehte Sam Esmail „eben mal so“ einen weiteren, wenn auch etwas kleiner dimensionierten Serien-Meilenstein, basierend auf einem Podcast von Micah Bloomberg und Eli Horowitz. Keine Geringere als Oscar-Preisträgerin Julia Roberts, die hier erstmals nicht für die große Leinwand arbeitete, spielt in Homecoming eine zentrale Rolle: Heidi Bergman ist Beraterin in einem Rehabilitationszentrum für Soldatinnen und Soldaten, die von ihren Auslandseinsätzen zurückkehren. Sie sollen dort „deprogrammiert“ und von möglichen traumatischen Erfahrungen befreit werden, um sich wieder in den normalen Alltag eingliedern zu können. Das geschieht mit Hilfe von langen, intensiven Gesprächen, Rollenspielen und dergleichen mehr. Heidi baut dabei eine besondere Beziehung zu dem jungen schwarzen Soldaten Walter Cruz (Stephan James) auf.

Doch natürlich ist das längst nicht alles. Das Rehab Center liegt in Florida „in the middle of nowhere“, wie man so schön sagt, und die Freiheiten der jungen Veteranen sind, nun ja, allgemein etwas eingeschränkt. Und natürlich untersteht das Projekt Homecoming nicht einer staatlichen Stelle, sondern es ist ausgelagert und wird – siehe Mr. Robot – von einem fragwürdigen Konzern namens Geist Emergent Group betrieben, dessen charismatischer alt-hippiesker Gründer (wunderbar: Chris Cooper) schon längst nichts mehr mitzureden hat. Smarte, slicke Business-Frauen und -Männer haben den Laden im Griff, und ihre Absichten sind, wie könnte es anders sein, sinister. Als eine anonyme Beschwerde über die Vorgänge im Center beim Verteidigungsministerium eingeht, macht sich der zunächst etwas behäbige Beamte Thomas Carrasco (Shea Whigham) daran, einmal nach dem Rechten zu sehen.

Was linear erzählt so simpel klingt, ist natürlich bei Mr. Esmail, der bei der gesamten ersten Staffel auch Regie führte, eine ziemlich vertrackte Angelegenheit. Erzählt wird in zwei Zeitebenen, die eine 2018 (Normalbild), die andere 2022 (Breitbild), vorwiegend in Rückblenden, bruchstückhaft, elliptisch. Szenen wiederholen sich (aus verschiedenen Perspektiven) oder erscheinen plötzlich in ganz anderem Licht. Julia Roberts kommt in der zweiten Staffel gar nicht mehr vor – und ist doch eine der Hauptfiguren. Wie das geht, das ist Teil der erzählerischen Meisterschaft Esmails und auch der beiden Creators Eli Horowitz und Micah Bloomberg. In mehr oder weniger großen Rollen sehen wir zudem eine Riege großartiget Schauspielerinnen wie Hong Chau, Sissy Spacek, Joan Cusack, Marianne Jean-Baptiste und Janelle Monáe.

Als wäre das alles noch nicht genug, ließ sich Esmail für die erste Staffel von Homecoming noch etwas Besonderes einfallen: Er verwendete ausschließlich Originalmusik, wenn auch digitalisiert, aus seinen Lieblings-Klassikern des Horror- bzw. Paranoia-Thrillers. Der musikalische Bogen reicht von Hitchcock (Vertigo) über De Palma (Carrie, Dressed to Kill), Cronenberg (The Dead Zone), Carpenter (Escape from New York, The Thing) und Alan J. Pakulas Klute bis hin zu Robert Wises The Andromeda Strain, John Schlesingers Marathon Man und Coppolas The Conversation, und noch viele mehr. Eine gigantisch aufwändige (Rechteklärung!) und teure Angelegenheit, wie sich Music Supervisor Maggie Phillips im Interview erinnert: Immerhin mussten auch noch lebende Musiker, die bei der Einspielung der Original-Scores mitgewirkt hatten, erneut bezahlt werden. Alle, die sich filmmusikalisch auskennen und/oder eine Freude an solchen Extravaganzen haben, können also bei den ersten zehn Episoden mitraten – und dann erst nachlesen.

Im Interview mit der Website „Showbizjunkies“ verrät Julia Roberts – über die üblichen Nettigkeitsfloskeln hinaus – einiges über Esmails Charisma und Appeal: „He just loves it so much and that is really contagious. Even though we said we work four-hour days, there were some long days, long scenes. We had a lot of complicated things to do, Stephan (James) and I together. Always happy though.“ Das klingt, denkt man an die eben erwähnte Sache mit der Musik und besucht man Esmails neckische Website (viel Glück!), ein bisschen nach dem „Kind im Spielzeugladen“, und das wird dem (kreativen) Charakter des demnächst 44-Jährigen wohl gerecht. Dazu passt, dass er Dermot Mulroney absichtlich als Roberts’ love interest castete, weil die beiden in zwei früheren Filmen schon zweimal fast ein Liebespaar gewesen waren: „I got you both together finally.“

Zukunft

An zukünftigen Projekten für, von und mit Sam Esmail herrscht – wen wundert es, zumal bei seiner Vielseitigkeit als Autor,
Regisseur und Produzent – kein Mangel. So gut wie fertig ist die Miniserie Angelyne, in der seine Frau Emmy Rossum eine Hauptrolle spielt, bei der er mitgeschrieben hat und auch Executive Producer ist. Es geht darin um die gleichnamige Los-Angeles-Ikone unbekannter Herkunft, die jahrelang ihr Konterfei (und auch etwas mehr) auf riesigen Werbetafeln in der Stadt plakatieren ließ und stets in einer knallrosa Corvette unterwegs war.

Für Universal Cable Productions, der Firma, mit der gemeinsam er auch Mr. Robot schuf, soll eine „darkly comedic“ Serie namens Resort entstehen – als (Ko-)Autor wird unter anderem Andy Siara genannt, der zuletzt mit seinem Zeitschleifen-Film Palm Springs bei Amazon Prime erfolgreich war.

Ebenfalls für UCP wird der Zweiteiler Gaslit entstehen, mit Sam Esmail als Ko-Creator und als Executive Producer. Es geht um „bisher unbekannte“ Details und „vergessene Figuren“ der Watergate-Affäre, und die Besetzungsliste kann sich wahrlich sehen lassen: Der Hollywood-Hochadel ist durch Julia Roberts und Sean Penn vertreten, auch Dan Stevens und Betty Gilpin sind dabei. Erneut Julia Roberts und ein weiterer Hollywood-Gigant, Denzel Washington, spielen ein gut situiertes Ehepaar, das eines Tages im feinen Wochenendhaus eine höchst verstörende Begegnung hat. Es handelt sich um die nach einer wilden Preisschlacht bei Netflix gelandete Esmail-Regiearbeit Leave The World Behind. Der Film ist eine Adaption des hochgelobten apokalyptischen Romans (deutsch: „Inmitten der Nacht“) von Rumaan Alam, „mit Wurzeln in Bangladesh“, einem aktuellen US-Literatur-Shooting-Star. Für American Radical soll Esmail erneut mit Rami Malek zusammenarbeiten: Malek spielt darin einen Muslim-American, den erfahrenen Undercover-Agenten Tamer Elnoury. Seine hoch riskante Aufgabe als Angehöriger einer Elitetruppe ist es, das Vertrauen von Terroristen zu gewinnen und so mögliche Anschläge zu verhindern.

Ein weiteres Projekt Esmails lässt die Herzen aller einschlägigen Fans höher schlagen: Gemeinsam mit UCP und für Universals neuen Streamingdienst Peacock soll es eine „Variante“ der legendären, wenn auch aus Kostengründen eher kurzlebigen Spät-Siebziger-Serie Battlestar Galactica (damals mit Bonanza-Vater Lorne Greene in der Hauptrolle des Commander Adama und mit einer Unzahl von Gaststars) geben. Der als Autor kolportierte Brite Michael Lesslie – Drehbuchautor von Macbeth (2015) und, naja, Assassin’s Creed (2016), aber auch von The Little Drummer Girl (2018), der tollen John-le-Carré-Miniserien-Adaption von Park Chan-wook – soll das Projekt inzwischen wieder verlassen haben.
Produzent Esmail ließ kürzlich aufhorchen, als er ankündigte, man verfolge mit Battlestar Galactica ein „unkonventionelles Veröffentlichungskonzept“: „There might be episodes that are longer than others. There might be a three-episode arc. There might be a standalone episode that’s a half-hour long. We don’t want to put guardrails up at all. We want to do whatever’s best for each episode … What we’re doing here is every episode you have the opportunity to change up the tone, to change up the story, to change up the point of view. So we’re going to lean into that, not shy away from it.“ Es wird sich nicht um ein Reboot der alten Serie handeln, sondern um eine Weiterentwicklung.

Als wenn das alles nicht schon heiß genug wäre, steht seit einigen Jahren eine Miniserie, basierend auf Fritz Langs Sci-Fi-Klassiker Metropolis (1927) auf der To-Do-Liste. Ein Update zu dem Projekt gab es zwar schon länger nicht, aber Ex-UCP-Präsidentin Dawn Olmstead, die inzwischen bei Anonymous Content, einem weiteren Partner Esmails gelandet ist, zeigte sich nichts desto weniger begeistert: „He’s a risk taker, a ground-breaker and a hit maker. On top of all of this, he is a great person.“ Wie auch immer: Dem Meister wird in den nächsten Jahren garantiert nicht langweilig werden – und uns auch nicht.

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