Die ausgezeichnete, in Europa sträflich unterschätzte Cop-Serie „The Shield“ schildert den hässlichen, brutalen, korrupten, mithin den ganz gewöhnlichen Alltag eines Polizeireviers in Los Angeles. Nunmehr komplett auf DVD.
Vic Mackey. Ein Machertyp. Von kleiner, jedoch bulliger Statur, auf der ein Kahlkopf der Respekt gebietenden Sorte thront. Mit einer Vigilanz und einem Durchhaltevermögen ausgestattet, deren Level ein Normalbürger nicht einmal mittels stündlichen Taurin-Konsums halten könnte. Der von Michael Chiklis mit konzentrierter Kraft versehene Detective Vic Mackey scheint das Stierhormon schon in sich zu tragen. Überschuss ist sein Programm: Er hat zuviel Energie, zuviel Selbstbewusstsein, zuviel Vehemenz. Sein Job ist, vom Farmington-Revier aus mit den Jungs seines Strike Teams das migrationsgesättigte, kriminelle Chaos in Los Angeles einigermaßen in Schach zu halten. Wenn dieser stahlstechend dreinschauende Bulle die Gangster auf „seinen“ Straßen mit drastischer Drohungsrhetorik um die benötigten Info-Bits erleichtert, um rasch in einem Fall weiterzukommen; wenn er Kleinkriminelle mit verächtlichen Sprüchen auf das herunterkürzt, was sie in seinen Augen sind (nämlich nichts als Abschaum); wenn er Heroindealer besticht, Drogengeld unterschlägt oder Verdächtige unter Anwendung schockierender Verhör-, mitunter auch Foltermethoden buchstäblich an die Wand drückt: Wir sehen dann einen Mann bei der Arbeit, der sich von seiner Klientel durch eine Dienstmarke unterscheidet, kaum jedoch durch seine Moral. Vom Ordnungshüter entwickelt Mackey sich zusehends zum criminal mind.
Für jeden Zweck ein Mittel
Vic Mackey ist der Stiernackenfleisch gewordene Albtraum jedes flüchtigen Delinquenten von Los Angeles. Zugleich ist er der wahrscheinlich skrupelloseste und korrupteste Polizist, der jemals im seriellen Fernsehen Spezialeinsätze leiten durfte – und dabei auch noch Erfolg beim Publikum hatte, zumindest beim US-amerikanischen. Auf stolze sieben Seasons (erschienen von 2002 bis 2008) hat es die an Tempo, Härte, Brutalität, aber auch an konsequenter Ästhetik und komplexer Parallelführung von Plotlinien schwer überbietbare Cop-Serie „The Shield“ gebracht – obwohl sie als Basic Cable Show des damals unbekannten FX Networks im Unterschied etwa zur wegbereitenden HBO-Kultserie „The Sopranos“ (1999–2007) oder zur gefeierten, etwa zeitgleich erschienenen HBO-Kollegin aus Baltimore, David Simon’s „The Wire“, nicht als künstlerisch wertvolle Nischenproduktion eines Premium-Bezahl-Senders durchging, sondern den Marktbedingungen zum Teil werbefinanzierten Basis-Kabel-TVs ausgesetzt war. Dort, wo ein Produktionsbudget an der Quote bemessen wird und daher in aller Regel der Mainstream regiert: ob nun Krümel von „CSI“-Tatorten aufgeklaubt werden, ob in „Cold-Case“-Akten gewühlt wird, ob sympathische, einmütig agierende Ermittlerteams mit modernster Forensik jeden Straftäter überführen und leicht verdaulichen Fall um leicht verdaulichen Fall lösen.
In „The Shield“ ist – wie nicht selten in den besseren Kino-Copthrillern der jüngeren Zeit – die Polizeistation selbst (und bald stellt sich heraus, auch die Stadtverwaltung) vom Keim des Verbrechens infiziert. Das macht die Sache für die gegen Korruption immunen Kollegen schwieriger, weil sie an zwei Fronten kämpfen müssen, und für die Zuschauer entschieden spannender. Diesen werden im Gegenzug vor allem zwei Dinge abverlangt: erstens die Gewöhnung an die vergleichsweise raue Benutzeroberfläche der Serie, deren grob gepixelte Handkamera-Bilder, deren Zooms und Unschärfen, deren nervöse Blickführung und sprunghafte Schnittfrequenz einem über weite Strecken hektischen Erzähltempo entsprechen. Gleichzeitig aber braucht man einen längeren Atem als für die allermeisten Serien – der Haupterzählstrang um das Strike Team, dem u.a. Mackeys Schützling Shane Vendrell (bübisch: Walton Goggins) angehört, erstreckt sich als story arc über sämtliche sieben Seasons bis zum einschneidend fesselnden wie virtuos aufgelösten (und unter eingefleischten Fans der Serie Kultstatus genießenden) Finale. Highspeed-Storytelling im Dokufiction-Style, Gesamtlänge rund 60 Stunden: Klingt das nicht nach Cop-Fernsehen für die erwachsen gewordene MTV-Generation?
Anbindung an die Wirklichkeit
Selbstverständlich ist „The Shield“ nur etwas für geistig und moralisch gefestigte Zuseher. Das amerikanische Film Censor’s Office wie auch die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft in Deutschland (FSK) empfahlen für Season eins keine Jugendfreigabe. Im Fall der einzelnen, teilweise gekürzten DVD-Editionen wechseln Freigaben ab 16 Jahren mit Jugendverbot. Derbe bis unflätige Sprache (mit all dem Polizeijargon, „Nigga“- und Latino-Slang unbedingt im Original zu hören!) und häufige verbale, psychische und körperliche Gewaltdarstellungen geben dafür den Ausschlag; dabei handelt es sich nicht um „leicht konsumierbare“ artifizielle, comic-hafte Gewalt etwa im Stil von Tarantino oder Action-Blödbustern, sondern um Gewalt, die als vorstellbare Begleiterscheinung der alltäglichen Routinearbeit einer Polizei-Eingreiftruppe in Los Angeles umso eindringlicher wirken kann.
Ihre Anbindung an reale Methoden der Drogen- und Bandenkriminalitätsbekämpfung, der diesem Hintergrund adäquate semidokumentarische Stil und die kompromisslose, wuchtige Erzählweise sind nur drei Qualitäten von „The Shield“. Drei weitere betreffen das detailreiche, auf ausführlicher Recherche basierende Drehbuch, den treffenden Cast insgesamt und teils herausragende Leistungen der Akteure. Schon mit der ersten Season schrieb „The Shield“ Fernsehgeschichte – erstmals war ein Basic Cable Drama mit gleich drei Emmy-Nominierungen bedacht worden. Michael Chiklis gewann sowohl Emmy als auch Golden Globe, und ein Golden Globe als Beste Dramaserie stand 2003 ebenfalls zu Buche. Das alles, weil ein aus Illinois stammender, damals 35-jähriger, kaum bekannter Drehbuchautor sein eigenes Wochenend-Fernsehprogramm mitgestalten wollte. In einem Interview mit dem Sender KCRW gab „The Shield“-Show Runner Shawn Ryan im Februar 2011 sinngemäß zu Protokoll: „Heute schickt es sich wohl, als Fernsehmacher zu sagen: Hey, ich schau doch kein Fernsehen, ich verdien nur mein Geld damit. Aber ich sage, ich schaue gern Fernsehen. Ich schaue viel Fernsehen, mir ist das nicht peinlich.“ Dass „The Shield“ überhaupt entstand, fällt laut Ryan unter eine selten angewandte Logik: „Ich habe am Anfang nicht geglaubt, dass wir mit der Show on air gehen würden. Meine Hoffnung war, beim damals unbedeutenden FX Network den Pilotfilm machen zu dürfen, um eine Visitenkarte für künftige Projekte zu haben. Aber gerade deshalb konnten wir mit freien Köpfen und vollem Risiko alles da hineinlegen, was wir hatten.“
Defekt-Diskussionen
Kritische Äußerungen über die Gestaltung der Figuren in „The Shield“ sind selten, aber es gibt sie. Ein prominentes Beispiel: „Für mich müssen ihre Bruchstellen als Hauptfiguren tiefer liegen, psychologischer, raffinierter sein als nur in einer Gefährdung durch Habgier, Dope oder Korruption. Deshalb bin ich bei einer Serie wie ‚The Shield‘ recht schnell nach erster Begeisterung auch wieder unzufrieden. Ich finde, die Defekte der Bullenfiguren müssen in ihrem ‚normalen‘, kleinbürgerlichen Charakter liegen, zum Beispiel in Eitelkeit, Selbstverliebtheit, verstecktem Größenwahn, Rachsucht, in verborgener Hartherzigkeit oder in überraschender Liebessehnsucht.“ Das Zitat stammt von einem Praktiker, der auch selbst über Film schreibt. Genre-Spezialist Dominik Graf, der zuletzt u.a. als Regisseur der sehenswerten Polizei- Serie „Im Angesicht des Verbrechens“ (ray 02/11) Meriten erwarb, trifft mit dieser Einschätzung die Charaktere des Strike Teams um Vic Mackey aber nur zum Teil. Die schnellen Eingreifer mögen einem in ihrer Gier, in ihrer Cliquengesinnung und bisweilen auch in ihren bis zum Pathos hochgehaltenen Familienwerten in der Tat etwas eindimensional vorkommen – Rachsucht und Größenwahn gesellen sich später freilich sehr wohl hinzu. Und auch für weitere Cops, die keineswegs Nebenrollen im Revier spielen, bleibt genug Raum zur charakterlichen Schälung: Die vielleicht interessantesten sind die Detectives Holland „Dutch“ Wagenbach und Claudette Wyms. Wie situativ angewandter Scharfsinn beim Verhör von mutmaßlichen Serienmördern, Dutchs Spezialgebiet, und intellektuelle Eitelkeit einander in die Quere kommen können, an Jay Karnes mustergültigem Schauspiel kann man es ablesen. Wyms wiederum, als Detective zunächst die Gelassenheit in
Person, droht später als Captain an emotionalem Überdruck und überhöhten Ansprüchen an sich selbst und ihre gesundheitlich fragile Konstitution zu scheitern. Für die sublime Interpretation der im ursprünglichen Drehbuch männlich angelegten Figur erhielt CCH Pounder einen wohlverdienten Emmy.
„Verborgene Hartherzigkeit“ und „überraschende Liebessehnsucht“ (und natürlich deren Drama verschärfende Konsequenzen) poppen im Verlauf der Serie nicht zu knapp auf. Gleich beide Elemente finden sich zum Beispiel im Gastauftritt von Forest Whitaker, für dessen Performance allein die Betrachtung der fünften Season lohnt. Whitakers interner Ermittler verzweifelt nicht nur an Vic Mackey, sondern auch an seiner verhaltensoriginellen Ex-Frau. Seine notdürftig unterdrückte Impulsivität, sein rasend gelähmter Ausdruck im Bewusstsein der Ohnmacht oder das spontane Aufbäumen dagegen hat Momente von solch elektrisierender Intensität, dass man sich plötzlich bewusst wird, was man im Kino zusehends vermisst.
Mehr als mind candy
Shawn Ryan (verheiratet mit Cathy Cahlin Ryan, die in „The Shield“ die erbarmungswürdige Ehe- bzw. Ex-Gattin von Vic Mackey gibt) verbuchte mit seiner innovativen Polizei-Serie einen Überraschungserfolg. Wie lange er weiter Fernsehen machen darf, das er sich selbst an einem heimeligen Wochenende anschauen würde, ist indes fraglich geworden. Als Show Runner der ähnlich anspruchsvollen Detektiv-Serie „Terriers“ und der ambitionierten Cop-Show „The Chicago Code“ hatte Ryan weniger Glück als mit „The Shield“ – beide wurden nach jeweils nur einer Season trotz guter Kritiken wegen zu geringen Publikumsinteresses von Fox wieder abgesetzt.
Derzeit tüftelt Ryan an einer neuen Serie. Dem Quotendruck Tribut zollend, dürfte diese konventioneller angelegt sein als seine bisherigen Projekte: Hauptfigur der zusammen mit dem langjährigen „Criminal Minds“-Produzenten Simon Mirren für CBS entwickelten Show soll ein für das FBI werkender Genetiker sein, der an sich selbst ein „psychopathisches“ Gen entdeckt. Der nächste kriminelle Kopf also, aber einer, der – anders als Vic Mackey – über seine ungesetzlichen Absichten reflektieren kann. Jener findet sich am Ende von „The Shield“ hingegen „out of options“ und muss erleiden, was für einen Testosteron-Bullen die Höchststrafe darstellt.