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The Tender Bar

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The Tender Bar

| Pamela Jahn |
George Clooney hat es sich im Regiestuhl bequem gemacht – zu bequem?

Es ist einer der größten Hollywood-Stars, aber als George Clooney im Oktober vergangen Jahres gemeinsam mit seinem Produzentenpartner Grant Heslov die Bühne der Londoner Royal Festival Hall betrat, um anlässlich der Weltpremiere seines neuen Films vorab ein paar Worte an das Publikum zu richten, wirkte er so klein wie nie. Er war äußerst charmant an diesem Abend, witzig auch. Ein Profi eben. Trotzdem schien der Auftritt merkwürdig. Es wollte nicht passen, dass ausgerechnet ihm, dem großen Entertainer schlechthin, ein ordnungsgemäßer Gala-Empfang verwehrt wurde. The Tender Bar, Clooneys achte Regiearbeit, hatte es im Programm des London Film Festival (LFF) nur auf einen regulären Vorstellungstermin geschafft. Roter Teppich zwar, aber kein wahrer Glitz und Glamour. Nicht einmal einen Prime-Time-Slot hatte man für ihn reserviert, weshalb bei der Spätvorstellung an jenem Sonntagabend auch einige Sitzreihen im Saal leer geblieben waren.

Da drängte sich zwangsläufig die Frage auf, warum das Festival dem Film und seinem Regisseur derart wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Sollte es etwa an der Qualität des Werks liegen? Die Antwort lautet: nein. The Tender Bar ist keinesfalls ein schlechter Wurf, definitiv solider und unterhaltsamer als sein Vorgänger, das Sci-Fi-Drama The Midnight Sky, in dem Clooney, wie auch sonst immer gerne in seinen Eigenproduktionen, selbst mitgespielt hatte. Diesmal beschränkte er sich stattdessen ganz auf die Arbeit hinter der Kamera und überließ seinen durch die Bank hervorragenden Darstellern das Feld – allen voran Ben Affleck, der schon lange nicht mehr so viel Charme und Spielkunst gezeigt hat wie hier.

The Tender Bar basiert auf dem gleichnamigen autobiografisch geprägten Roman von J.R. Moehringer, dessen Kindheit und Weg zu Erwachsenwerden er beschreibt. Und wie man sich denken kann, hat es der junge J.R. (Daniel Ranieri) in der ersten Phase seines Lebens nicht leicht. Nachdem sein Vater, ein abgehalfterter Radiomoderator, die Familie im Stich lässt und den Unterhalt schuldig bleibt, müssen der Junge und seine Mutter Dorothy (Lily Rabe) ihr Zuhause in New York aufgeben und zu den Großeltern ziehen, zurück in die Provinz, nach Manhasset auf Long Island. Dort lebt auch Dorothys Bruder Charlie (Affleck), der im Ort eine Bar betreibt, die „Dickens“ heißt – und das nicht zufällig. Denn neben Alkohol gibt es in der Kneipe wie auch in seinem neuem Zuhause jede Menge Lesestoff für J.R., und so vergräbt sich der heranwachsende spätere Yale-Student in die Welt der Bücher, die er von seinem Onkel empfohlen bekommt. Aber auch sonst wird Onkel Charlie mit seiner lockeren Art, einer ehrlichen Zuneigung und den stets lebensnahen Ratschlägen, zu J.R.s großer Identifikationsfigur, zu der er auch dann noch schwärmerisch aufschaut, als er es längst mit einem Stipendium an die Elite-Uni geschafft hat, um zunächst Jura zu studieren und schließlich seine eigene Karriere als Schriftsteller zu starten.

So wie Clooney die Kindheit des Jungen hier in einem warmen goldbraunen Licht erstrahlen lässt und obendrein mit einem nostalgischen Siebziger-Jahre-Soundtrack unterlegt, möchte man meinen, dass er nach seinem Fehlschlag mit The Midnight Sky, dessen Geschichte am nördlichen Polarkreis spielte, diesmal auf das komplette Gegenteil setzt, in der Hoffnung, damit eher ins Schwarze zu treffen. Alles ist leichtherzig und harmlos in The Tender Bar, in dem selbst so schwere und bisweilen schmerzliche Themen wie Vater-Probleme, Klassenunterschiede und das Erwachsenwerden insgesamt stets mit viel Verständnis, Mitgefühl und einem feinen Humor umspielt werden.

Das ändert sich auch nicht, als J.R. als junger Mann (jetzt gespielt von Tye Sheridan) seinen Weg zu gehen versucht, seine erste große Liebe erlebt und die erste Enttäuschung gleich dazu. Aber eben weil sich die Handlung einfach immer weiter nach vorne schiebt, ohne allzu gravierende Wendungen oder eine emotionale Tiefe zu riskieren, wird dem Film seine dramatische Schwerelosigkeit bald zum Problem. In diesem Sinne hätte auch Clooneys neuer Versuch einer Romanverfilmung leicht komplett nach hinten losgehen können, wäre da nicht Ben Affleck, der in der Rolle des zugleich coolen und fürsorglichen Onkels seine Berufung gefunden zu haben scheint. Mit seiner ehrlichen, nonchalanten Art gewinnt er nicht nur J.R. in Nullkommanichts für sich, sondern auch als Zuschauer hätte man am Ende gerne noch ein bisschen mehr Zeit mit ihm verbracht. Zu schade nur, dass Clooney es versäumt hat, das Potenzial zu nutzen, das in dieser vielschichtigen Figur steckt, anstatt es sich in seinem Regiestuhl bequem zu machen und darauf zu hoffen, dass sich der Zauber vor der Kamera von ganz alleine entfaltet.

Vielleicht wäre dann letztlich auch eine Galapremiere beim LFF drin gewesen. Oder aber Clooney hat sich selbst bewusst gegen ein derart hochgespieltes Event entschieden: um einfach seinen Film zu zeigen, der nicht größer, toller oder besonderer sein will als das, was aus ihm geworden ist. Ein Film, der keine Sonderbehandlung braucht und auch keinen Glamour. Weil er menschlich ist und sein Herz am rechten Fleck trägt. Und das ist zumindest für einen harmonischen Familienabend vor dem Fernseher, da der Film jetzt auf Amazon Prime läuft, doch schon eine ganze Menge.