Keine kühne Behauptung: Das Interessanteste am neuen James-Bond-Abenteuer ist der Regisseur Cary Joji Fukunaga. Ein Porträt.
Was immer der 25. Bond bringen wird – der Trailer lässt vermuten: mehr vom Selben, aber das spektakulär –, er punktet auf jeden Fall mit zwei Personen hinter der Kamera. Die hierorts schon mehrfach gewürdigte Britin Phoebe Waller-Bridge, als Schauspielerin, aber mehr noch als Autorin (Fleabag, Killing Eve) seit mehreren Jahren eine Spitzenkraft, hat am Drehbuch mitgearbeitet, und der US-Amerikaner Cary Joji Fukunaga wurde als Regisseur verpflichtet, nachdem der ursprünglich vorgesehene Danny Boyle sich 2018 von dem Projekt verabschiedet hatte. Man wird schwerlich einen aktuellen Filmemacher finden, dessen auf den ersten Blick recht schmale Werkliste eine solche thematische, geografische und inhaltliche Bandbreite aufweist.
Cary Fukunaga, geboren 1977 in Oakland, Kalifornien, als Sohn eines Japaners und einer Schwedin, studierte zunächst Geschichtswissenschaft, ehe er 2009 mit dem spektakulären Drama Sin Nombre, das er auch selbst geschrieben hatte, sozusagen aus dem Nichts im Rampenlicht auftauchte. Fukunaga, der selbst einige Zeit in Mexiko gelebt hat, schildert darin völlig ungeschönt den Versuch eines Mitglieds der berüchtigten Mara-Salvatrucha-Gang, sich aus den Fängen der Bande zu befreien. Als seine Freundin Martha, die er nur heimlich haben darf, bei einer versuchten Vergewaltigung vom lokalen Boss getötet wird, macht sich Willy, genannt Casper, auf einem mit Flüchtlingen überfüllten Zug auf in Richtung USA. Dort trifft er auf Sayra, die mit ihrer Familie von Honduras aus aufgebrochen ist. Die beiden freunden sich an, doch die Mara Salvatrucha hat nicht vor, Caspers „Verrat“ ungesühnt zu lassen.
Vielseitigkeit
Der mit unbekannten, aber enorm ausdrucksstarken lokalen Schauspielerinnen und Schauspielern gedrehte Film wurde allerorten hoch gelobt und beim Festival in Sundance mit zwei Preisen ausgezeichnet. Anstatt in diese Richtung weiterzuarbeiten, machte Cary Fukunaga zum ersten Mal das, was er seither nach jedem seiner Filme gemacht hat: Er wechselte abrupt den Kurs und verfilmte 2010 mit Starbesetzung (Mia Wasikowska, Michael Fassbender, Judi Dench) den unverwüstlichen Charlotte-Brontë-Literaturklassiker „Jane Eyre“. Eigentlich, so Fukunaga, war er in London gewesen, um ein anderes Projekt zu pitchen, als man ihm die Regie nach Moira Buffinis in der Branche hoch gehandeltem Drehbuch anbot. Fukunagas Jane Eyre ist weniger introspektiv, als man das gewöhnlich von Brontë-Verfilmungen kennt, stattdessen setzt der Regisseur ganz stark auf die Beziehung zwischen Jane und Edward Rochester und lässt vor allem auch die „gothic“-Elemente des Buches nicht außer Acht. Fukunaga meinte ja, wenn auch eher im Spaß, anlässlich einer PR-Veranstaltung zum Bond-Film, er habe schon bei Jane Eyre gemerkt, dass er „britischen Traditionen, die die Leute schätzen und lieben“, etwas abgewinnen könne.
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Wie schon sein Erstling wurde auch die Brontë-Verfilmung sehr positiv aufgenommen. Nächster Hakenschlag: 2014 übernahm Fukunaga die Regie bei der ersten Season der herausragenden HBO-Serie True Detective, die der Autor Nic Pizzolatto geschrieben hatte – wie im übrigen auch die beiden weiteren Staffeln, die keinerlei inhaltliche Anknüpfung an die erste haben. Ein Trumpf ist natürlich die Besetzung mit Woody Harrelson und Matthew McConaughey als Kriminalpolizisten, die nach einem grausigen Frauenmord ermitteln, aber die wahren Highlights der gnadenlos spannenden Staffel 1 sind die facettenreichen Porträts seiner Hauptfiguren und die präzise Einbettung der vergleichsweise konventionellen Story in das mitunter recht bedrückende Soziotop des ländlichen Südens von Louisiana. Wieder betrat der Regisseur Neuland, und wieder meisterte er die Herausforderung mit Bravour. Die Primetime Emmy für sein „Outstanding Directing“ war eine verdiente Auszeichnung.
Parallel dazu bzw. schon seit mehreren Jahren hatte der Filmemacher an seiner Leinwandversion des Romans „Beasts of No Nation“ von Uzodinma Iweala gearbeitet, in dem der nigerianisch-stämmige US-Autor die Geschichte von Agu erzählt, einem Kindersoldaten in den Bürgerkriegswirren eines nicht näher bezeichneten westafrikanischen Staates. Es gibt gewisse inhaltliche Parallelen zu seinem Debütfilm Sin nombre. Wieder geht es um Kinder bzw. Jugendliche, die viel zu früh und auf drastische Weise „erwachsen“ werden. Vor allem aber muss man Cary Fukunagas Mut bewundern, sich erneut auf so schwieriges Terrain zu begeben. Wie sehr ihm das Projekt am Herzen lag, kann man unter anderem daran ersehen, dass er es nicht nur schrieb und produzierte, nicht nur Regie führte, sondern auch höchstpersönlich die Kamera. Gedreht wurde in Ghana mit mehrheitlich lokalen Darstellerinnen und Darstellern. Der einzige Star ist Idris Elba als der furchteinflößende Kommandant einer Rebellen-Splittergruppe. Diese nimmt den neunjährigen Agu (gespielt vom damals 13-jährigen Abraham Atta) auf, nachdem seine Mutter und seine Schwester geflohen sind und sein Vater und sein Bruder von Regierungstruppen ermordet wurden. Agu wird zum Kindersoldaten „ausgebildet“, auf brutale Weise initiiert und zur gehorsamen Tötungsmaschine gedrillt. Wie sein einziger Freund Strika wird er mehrmals vom Kommandanten sexuell missbraucht. Erst als sich die politischen Geschicke im Land zu wenden beginnen, keimt so etwas wie Hoffnung auf, Agu könne sein fürchterliches Schicksal hinter sich lassen. Der aufrüttelnde Beasts of No Nation sorgte nicht nur wegen seiner schonungslosen Darstellung von Gewalt und Missbrauch, sondern auch deshalb für Aufsehen, weil er als einer der ersten Filme vom damals noch neuen Streamingdienst Netflix aufgekauft wurde, was dazu führte, dass er für die Oscar-Verleihung 2016 nicht in Frage kam – wie sich doch die Zeiten ändern.
Fast schon keine Überraschung war es dann, als Fukunaga 2018 die durchgeknallte Netflix-Mini-Serie Maniac mit Emma Stone, Jonah Hill, Justin Theroux, Gabriel Byrne und Sally Field inszenierte, die er gemeinsam mit Patrick Somerville nach einem erfolgreichen norwegischen Vorbild auch konzipiert hatte. Stone und Hill spielen darin Probanden eines fragwürdigen Psycho-Experiments eines Pharma-Konzerns. Sie begegnen einander aber nicht nur real, sondern auch in den während der in den Sitzungen induzierten Träumen/Halluzinationen, weil Gertie, der angebliche Supercomputer der Firma, verrückt spielt. Die Serie ist voll von Anachronismen (sie spielt in der Gegenwart, allerdings ohne Handys, um nur ein Beispiel zu nennen), popkulturellen Anspielungen und verrückten Einfällen, die sich vor allem in den Traumsequenzen manifestieren.
So 20. Jahrhundert
Und nun also James Bond: „Nachdem sich Bond auf Jamaika zur Ruhe gesetzt hat, wird er von seinem alten Freund Felix Leiter kontaktiert. Dieser bittet ihn darum, einen entführten Wissenschaftler zu retten, wobei Bond auf die Spur des mit neuer Technologie ausgestatteten Bösewichts Safin kommt.“ Nun ja. Man weiß natürlich, dass man sich auf Blockbuster-Inhaltsangaben nicht verlassen kann, schon gar nicht, wenn es um den Dinosaurier unter den Blockbustern, die James-Bond-Reihe geht, die mit No Time to Die ihre 25. Ausgabe feiert. Nun kommt diese also, nach etlichen Corona-bedingten Starttermin-Verschiebungen, endlich in die Kinos, nachdem Christopher Nolan im Vorjahr mit seinem höllisch lauten Pseudo-Bond Tenet im Vorjahr gerade noch so zwischen alle Lockdowns gerutscht war.
Wer, bitte, könnte man fragen, braucht heute noch James Bond? Es handelt sich bei den Filmen um ein Relikt aus dem Kalten Krieg, nach den literarisch mäßig bedeutsamen Spionage-Romanen und Kurzgeschichten des britischen Autors Ian Fleming ab 1962 (Dr. No) effektvoll und stets unter großem medialem Getöse in Szene gesetzt. In Wahrheit ging es jedoch schon immer weniger um die Inhalte, sondern mehr um die Besetzung des Titelhelden, die sogenannten „Bond-Girls“ und die Bösewichte, die nicht selten die interessanteren Charaktere waren, wenn man an Goldfinger (Gert Fröbe), Stromberg (Curd Jürgens), Largo (Klaus-Maria Brandauer), Blofeld (unter anderem Telly Savalas und Christoph Waltz), Zorin (Christopher Walken), Scaramanga (Christopher Lee) und andere denkt. Wichtig waren und sind auch die schrulligen Nebenfiguren aus dem britischen Geheimdienst, die Schauplätze und vor allem die zahllosen Gadgets – vom Auto bis zum Drink, von der Uhr bis zu den Waffen, die Her Majesty’s Secret Service seinem Vorzeige-Agenten zur Verfügung stellt.
Mehrmals schien es, als stünde das Franchise vor dem Aus, vor allem, als der Vorrat an Flemings Originalgeschichten zu Ende ging. Die Stories stammen denn auch seit 1999 (The World Is Not Enough) vom Team Neal Purvis und Robert Wade. Kleiner Treppenwitz der Filmgeschichte: Ihr wohl bestes Drehbuch ist das zu der herrlich doofen Bond-Parodie Johnny English mit Rowan Atkinson. 2002, nach Die Another Day, verabschiedete sich Pierce Brosnan als Bond. Mit Daniel Craig fand man aber doch noch einmal einen durch und durch britischen, massentauglichen Super-Agenten, der 2006 in Casino Royale debütierte. Die Stories wurden über die Jahre immer komplexer, wenn auch nicht unbedingt interessanter (bisheriger Tiefpunkt: Quantum of Solace, 2008), und die Filme dementsprechend immer länger – der neue schlägt mit 163 Minuten alles bisher Dagewesene. Aber ach, auch Mr. Craig will nun nicht mehr, und so hat längst die Suche nach einem neuen Darsteller – oder gar einer Darstellerin! – begonnen.
Ob und was Cary Fukunaga und Phoebe Waller-Bridge in die etwas angegraute Agentenserie einbringen werden können, kann man man nur erahnen bzw. erhoffen. Der Filmemacher äußerte sich in einem Gespräch mit seiner Regie-Kollegin bzw. Freundin Miranda July (Kajillionaire), das im März 2020 im Magazin „Interview“ erschien, erstaunlich offenherzig über die 250 Millionen Dollar teure Produktion: „It felt like climbing up a mountain every day without ever seeing the summit“, meinte er. Auf Julys provokante Frage, ob man Phoebe Waller-Bridge engagiert habe, um die Story „more feminist and better“ zu machen, antwortete er, Barbara Broccoli, seit langem verantwortlich für die Bond-Reihe, sei nicht nur eine der erfolgreichsten Produzentinnen der Filmgeschichte, sondern habe sich immer bemüht, feministische Aspekte nicht außer Acht zu lassen. „The female characters in the film (No Time to Die, Anm.), who they are and what they stand for, was definitely something Barbara had already had in mind. And Phoebe who is a brilliant writer regardless of her gender, but is writing really fun and more fully fleshed-out female characters than anyone else right now, brought a lot of ideas about how to make the characters we already had that much more interesting.“
Wir dürfen also gespannt sind – und das ist ja bei einem vorprogrammierten Blockbuster dieser Größenordnung immerhin schon etwas.