ray Filmmagazin » Filmkritiken » Come On, Come On
Come On, Come On

Filmkritik

Come On, Come On

| Hans Langsteiner |
Der Joker wird zum guten Onkel.

Ein Familienvater mit psychischen Problemen, ein ungleiches Geschwisterpaar, ein Bub, der gern in Traumwelten abtaucht – im Grunde könnte diese Personenkonstellation auch einem Ingmar-Bergman-Film entlehnt sein. Aber keine Panik! Die
Assoziation führt in die Irre. Diese amerikanische Independent-Produktion ist keine schwere Seelenzerfaserung, sondern eine (fast schon zu) filigrane Mischung aus Buddy- und Roadmovie, gedreht, immerhin, mit durchaus formalem Ehrgeiz in anspruchsvollem Schwarzweiß.

Werbung

Joker-Star Joaquin Phoenix spielt hier mit Bauch, Bart und Brille einen Radio-Journalisten, der amerikanische Jugendliche über ihre Zukunftserwartungen interviewt. Als sein Schwager wegen bipolarer Störungen in der Psychiatrie Heilung sucht, bittet ihn seine Schwester, sich für einige Zeit um ihren neunjährigen Sohn Jesse zu kümmern. Das ungleiche Paar beginnt eine Reise, die von Detroit über Los Angeles, Oakland und New York bis nach New Orleans führt. Wenig überraschend kommen dabei der brummige Mann und das quirlige Kind einander menschlich näher.

Das klingt nun nicht gerade rasend originell, und man kann sich unschwer vorstellen, welch seifiges Rührstück Hollywoods Skript-Routiniers daraus gezimmert hätten. Der auch für seine Musikvideos bekannte Regisseur Mike Mills (20th Century Women) vermeidet indes nicht nur jeden Kitsch, sondern unterlegt der vordergründig leichtgewichtigen Fast-Komödie auch durchaus ernste Themen – von der (sich in vielen Handy-Telefonaten manifestierenden) menschlichen Vereinsamung bis zu den Zukunftsängsten, die sich in den (authentischen) Interview-Passagen äußern. Inszeniert ist dies nicht als lineare Erzählung, sondern als flirrende Collage. Aktuelles Geschehen und Rückblenden verweben sich mit Schrift-Inserts und bebilderten Tagebuchnotizen zu einem sanften Bilderteppich, dem schwebende Klänge auf der Tonspur zu zusätzlich entrückter Atmosphäre verhelfen. Das ist so subtil, dass es mitunter ein bisschen fade wirkt, doch die brillanten Darsteller halten das Interesse wach.

Joaquin Phoenix zeigt als guter Onkel, Marke „Raue Schale, weicher Kern“, erneut seine Wandlungsfähigkeit, doch der 13-jährige Brite Woody Norman stiehlt dem Superstar beinahe die Show. Kinderschauspieler von einer derartigen Natürlichkeit – auch in Kenneth Brannaghs aktuellem Belfast ist mit Jude Hill ein solcher zu bewundern – haben nichts mehr gemein mit den geschminkten Püppchen, die Hollywood einst vor die Kamera zu setzen pflegte. Schon dieses Buben wegen lohnt der Film.