ray Filmmagazin » Filmkritiken » Klassenverhältnisse

Filmkritik

Klassenverhältnisse

| Daniela Sannwald |
„Downton Abbey“, der Film nach der gleichnamigen Serie, spiegelt perfekt die Sehnsucht nach einer geordneten Gesellschaft wider, nach Übersichtlichkeit und Geborgenheit, nach Halt und Sinn, nach Analogem und Haptischem.

Die sehr spannende, aktuelle Netflix-Doku-Serie 7 Days Out dokumentiert die Vorbereitungen zu so unterschiedlichen Großveranstaltungen wie etwa einer Restaurant-Eröffnung, einer Hundeausstellung, einem Pferderennen oder einer Modenschau. Die Dramaturgie der Serie folgt den realen Abläufen, verstärkt jedoch die dabei zwangsläufig auftretende Hysterie durch Zeitraffer, Montagesequenzen und Interviews mit hektischen Beteiligten. Das attraktive Format lebt vom Backstage-Mythos, der im Spielfilm seit den dreißiger Jahren ein immer wiederkehrender Topos ist.

Werbung

Auch Downton Abbey erzählt von den Vorbereitungen zu einem Großereignis: Das britische Königspaar George V und Mary wollen Downton Abbey, dem Sitz der adeligen Familie Crawley, einen Besuch für einen Tag abstatten, der mit einem festlichen Dinner enden soll. Es versteht sich, dass dafür nicht nur das Haus bis zum letzten Silberlöffel auf Hochglanz gebracht werden muss, sondern auch das Beste aus Küche und Keller gefragt ist.

Mit der Dramaturgie der sich zuspitzenden Ereignisse ist der Film auch für ein Publikum, das die Serie nicht kennt, leicht konsumierbar: Er beginnt mit einer Montagesequenz, die das Verfassen, Verschicken, den Transport, die Zustellung und den Erhalt des königlichen Ankündigungsschreibens mit Hilfe schneller Wechsel von Detailaufnahmen zu Totalen und anschwellender Musik überhöht. Eine Hand mit Siegelring führt eine Feder über Büttenpapier: mächtige Qualmwolken, stampfende Maschinen und lautes Tuten kündigen den kohlebetriebenen Postzug an, geschäftige Männer mit Augenschirmen verteilen Briefe in Holzfächer, und ein berittener Briefträger gibt das Schreiben an der Hintertür von Downton ab, wo es auf ein Silbertablett gelegt und vom unbeteiligten Butler dem nicht weniger unbeteiligten Hausherrn zum Frühstück serviert wird.

Die Sequenz zeigt im Kleinen, wie Downton Abbey gebaut ist und warum sowohl die 52 Folgen der Serie als auch der Film so perfekt funktionieren: Es geht um Repräsentation, die nicht nur das große Thema von Serie und Film ist, sondern auch – in der Realität – die Daseinsberechtigung von Royals und Hochadel ausmacht. Und es geht um die vor allem visuelle Umsetzung dieses Sujets auf der Ebene des Mediums, das genau dafür hervorragend geeignet ist. Und so ist Downton Abbey einerseits altmodisches Schauwerte-Kino, das in Ausstattung und Kostümen schwelgt und dabei die Mär vom guten Landadeligen, der für die Seinen sorgt, fortschreibt, andererseits erlaubt sich der Film eine gehörige Portion Ironie: Er behauptet einfach, dass die Diener die größten Anhänger der feudalen Traditionen sind; er lässt einen ehemaligen irischen Rebellen ein Attentat auf den verhassten König verhindern und einen in die Familie eingeheirateten Chauffeur zum Ratgeber einer Prinzessin in Sachen Recht und Ordnung werden – und festigt dadurch nur den Mythos von der übersichtlichen Ständegesellschaft, in die alle integriert werden können, sofern sie wissen, wo ihr Platz ist. Dass selbst noch ein schwuler Kammerdiener gelegentlich seinen Neigungen nachgeben und mit Gleichgesinnten darüber sinnieren darf, ob man sich in hundert Jahren wohl immer noch verstecken wird müssen, tut dem Gesellschaftsmodell keinen Abbruch: Nach einer Razzia in Gewahrsam genommen, darf er aufgrund seiner Stellung und allerhöchster Fürsprache das Gefängnis schnell wieder verlassen.

Das Ganze spielt im Jahr 1927, was sich vor allem an Rocklängen und Frisuren der Damen bemerkbar macht; die biederen Knoten der Dienerinnen sind sanft gewellten Bobs gewichen, die Säume der adeligen Abendkleider sind bis kurz unters Knie gerutscht, es federt, flattert und franst an den großen Roben, und die bei Abendgesellschaften obligatorischen Diademe ähneln jetzt den Stirnbändern von Revuegirls. Die drei Schwiegersöhne des Hauses tragen bequeme, sportive Tweedanzüge, und zwei von ihnen üben bereits bürgerliche Berufe aus. Und Lady Mary, die älteste Tochter des Hauses, wird von ihrer Großmutter zur Bewahrerin von dessen Tradition bestimmt – Matriarchat statt Patriarchat. Selbst in Downton Abbey hat der alte weiße Mann ausgedient.

Die Fans der 52 Serienfolgen können sich an der Weiterentwicklung der Figuren erfreuen: Der alte Butler Carson hat sich gärtnernd mit seinem Ruhestand abgefunden; sein Nachfolger Barrow hat bereits graue Schläfen, die Köchin ist immer noch maulflink und schafft das Menü für die Royals mit Hilfe der schnippischen, heftig flirtenden Lucy mühelos, das Ehepaar Bates ist wie immer soigniert-loyal und sogar ein kleines bisschen intrigant, die sanfte Hausdame hat einen aggressiven Anfall. Der in Lucy verliebte Diener Andy darf sich Hoffnungen machen, und Mr. Molesley, inzwischen Dorflehrer, wird natürlich für das Großereignis wieder angeheuert und zeigt sich als der überzeugteste Royalist. Auf der Herrschaftsebene gefallen sich Lord und Lady Grantham in Altersmilde und –müdigkeit, die beiden Töchter sind mit ihren Männern endlich glücklich, und die alte Countess Violet gibt in gewohnter Biestigkeit Gemeinheiten von sich. Die Faszination der Figuren liegt zum guten Teil an den großartig ausgewählten, attraktiven Darstellerinnen und Darstellern, die einmal mehr beweisen, dass für gelungenes Entertainment nicht viel mehr nötig ist als schöne Menschen, die schöne Dinge tun.

Der große Erfolg der Serie mag auch die in der global vernetzten Welt verbreitete Sehnsucht nach einem geordneten Gesellschaft widerspiegeln, nach Übersichtlichkeit und Geborgenheit, nach Halt und Sinn, nach Analogem und Haptischem. Downton Abbey erfüllt diese Sehnsucht, indem es retrospektiv die feudale Gesellschaftsordnung feiert und so tut, als sei zumindest im England der zwanziger Jahre die Welt einfach heil gewesen, und das so überzeugend, dass man als Zuschauer/in am liebsten in den fähnchenschwenkenden Jubel der Landbevölkerung einstimmen und wider besseres Wissen für den unveränderten Fortbestand dieser fiktiven Ordnung plädieren möchte.