Nach jahrelangen Verzögerungen bekommt der DC-Superheld The Flash nun seinen ersten Solo-Kinofilm. Das Konzept des Multiversums ermöglicht dabei auch die Rückkehr von Michael Keaton als Batman. Eine Spekulation über alternative Timelines und die Kraft der Nostalgie.
Für Laien (halbwegs) verständliche Artikel zum Konzept eines Multiversums (die Gesamtheit theoretischer Paralleluniversen) geistern nicht übermäßig oft, aber mit einer gewissen Regelmäßigkeit durch Print und Web – in den letzten Monaten bot etwa der oscarprämierte Film Everything Everywhere All at Once einen künstlerischen Anlass. In der Science-Fiction-Komödie lernt die Besitzerin eines Waschsalons, die es in alternative Realitäten verschlägt, ihre zahlreichen anderen Ichs kennen, die völlig konträre Lebenswege eingeschlagen haben. So stellen sich unter anderem Fragen, die wohl jeden schon einmal beschäftigt haben: Wie würde mein Leben aussehen, hätte ich damals nicht diese, sondern jene Entscheidung getroffen? Nutze ich mein Potenzial wirklich aus? Die Idee von Paralleluniversen ist dabei nicht nur seit vielen Dekaden in Comics und Sci-Fi überaus populär, bereits in der Antike spekulierte etwa der Vorsokratiker Demokrit über die Möglichkeit vieler Welten. Im 20. und 21. Jahrhundert löste die für intuitives Denken schwer zu fassende Quantenphysik bei so manchem Wissenschaftler multiversische Spekulationen aus: Um das zufällige Verhalten und die Überlagerungszustände von Quanten zu erklären, entwarf etwa US-Physiker Hugh Everett (1930–1982) eine Theorie, wonach sich das Universum ständig aufspalte und eine Vielzahl von einander unabhängigen, nicht miteinander kommunzierenden Realitäten kreiere; alles, was möglich sei, werde in verschiedenen Universen auch zur Realität. Wer weiß, vielleicht heißt das Magazin, das Sie gerade lesen, in einer anderen Realität „Sergej“. Oder Sie gehen einem Job als Geheimagent oder Topmodel nach. Der Haken: Die Theorie – die zudem selbst wieder viele Fragen aufwirft – lässt sich aktuell weder beweisen noch widerlegen. In erzählerischer und kommerzieller Hinsicht ist das Konzept allerdings überaus verlockend.
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Das führt uns direkt zum Thema der allgegenwärtigen Comicverfilmungen: Was die großen Player Marvel und DC betrifft, haben die Comics, die den Filmen zugrundeliegen, bereits vor Jahrzehnten parallel existierende Welten mit alternativen Geschichtsverläufen etabliert; bei DC war dafür passenderweise die Figur des Flash (dessen Urversion 1940 von Autor Gardner Fox und Zeichner Harry Lampert erfunden wurde) verantwortlich. Dieser Superheld, der sich extrem schnell bewegen und so die Grenzen von Raum und Zeit durchbrechen kann (die am häufigsten zum Einsatz kommende Zivilversion heißt Barry Allen; seine Kräfte erhält der Forensiker in den meisten Versionen durch einen Blitzschlag in Verbindung mit Chemikalien), geriet in einer 1961 erschienenen Geschichte auf eine Welt, in der sein Alter Ego aus den 1940er-Jahren Superheldendienst versieht. Die Bezeichnungen „Erde 1“, „Erde 2“ etc. waren geboren. In diesen alternativen Realitäten war Superman etwa verheiratet oder hatten die Nationalsozialisten den Krieg gewonnen. Das Konzept erfuhr über die Jahrzehnte viele Anpassungen und Ergänzungen. 2011 erschien der Comic „Flashpoint“, in dem der „Scarlet Speedster“ der einzige zu sein scheint, dem massive Veränderungen an der Welt auffallen – seine Superkräfte existieren nicht, die von einem Unbekannten ermordete Mutter lebt wieder, die Superheldenvereinigung Justice League wurde nie gegründet, das Alter Ego des ziemlich brutalen Batman ist nicht Bruce, sondern Thomas Wayne, Aquaman und Wonder Woman bekämpfen sich und kriegsartige Zustände breiten sich aus. Der Clou (Achtung, Spoiler): „The fastest man alive“ selbst hat diese Verhältnisse ausgelöst, als er in der Zeit zurückreiste, um den Tod seiner Mutter zu verhindern. Die Zeit ist aus den Fugen, die Welt aus den Angeln, eine alternative Realität in Kraft. Barry hat also jede Menge zu tun, um das alles wieder zu reparieren – und steht dabei vor harten Entscheidungen.
Treffen der Generationen
Der im Juni nach langer Verzögerung anlaufende The Flash des argentinischen Regisseurs Andy Muschietti (Mama) basiert nun auf der Grundidee Comics, interpretiert diese nach Angaben des Filmemachers aber auf ganz eigene Weise. Die Verzögerung ergab sich dabei aus einer Vielzahl von Schwierigkeiten, die sich über die Jahre noch akkumulierten: Die DC Studios standen nach dem beispiellosen Erfolg des Konkurrenten Marvel mit The Avengers (2012, Regie und Buch: Joss Whedon) unter Zugzwang, ein eigenes „shared universe“ zu etablieren, in dem sich die Superhelden nur so tummeln sollten. Allerdings stießen die auf düster getrimmten Filme von Regisseur und Produzent Zack Snyder (beispielsweise Batman v Superman, 2016) auf schlechte Kritiken und blieben kommerziell, trotz insgesamt respektabler Einspielergebnisse, unter den Erwartungen. Hatte Marvel zunächst mit fünf Solofilmen einen langen Atem bewiesen, ehe die Helden aufeinandertrafen, wollte DC diesen Prozess mit nur zwei Filmen erledigen. Das Ergebnis wirkte dementsprechend überhastet, die Fanbase war gespalten. Und so ersetzte das Studio Snyder (der zusätzlich noch unter einer Familientragödie zu leiden hatte) während der Dreharbeiten zu Justice League (hier trafen Superman, Batman, Wonder Woman, Aquaman und Cyborg aufeinander) durch Joss Whedon. Mit dessen Hilfe versuchte man, den so populären Marvel-Humor auch bei DC zu etablieren und die Snyder’sche Düsternis (die für die Cashcow Batman, aber nicht unbedingt alle anderen Figuren funktioniert) aufzubrechen. Dies sorgte wiederum für ein tonales Wirrwarr, in dem nichts so recht zusammenzupassen schien. Das Studio-Management beharrte zudem aus Gründen von Boni-Auszahlungen auf einem Starttermin, der einfach zu früh war und schickte so ein halbfertiges Werk mit miesen Spezialeffekten (berüchtigt u. a. Henry „Superman“ Cavills wegretuschierter Schnauzbart) und halbgarer Handlung ins Kino, das von der Kritik verrissen wurde und nicht genug in die Kassen spülte. All dies hatte entsprechende Auswirkungen auf The Flash; gemeinsam mit mehreren Regie-Wechseln und der Covid-Pandemie trug der Umbau des DC-Universums dazu bei, dass der für 2021 angekündigte Film erst heuer ins Kino kommt (Warner hatte eigentlich schon für 2016 einen Flash-Film geplant). Das war aber noch nicht alles.
Film-Flash Ezra Miller, der die Rolle in Justice League nach einigen Cameos erstmals im Umfang einer Hauptrolle spielte, stieß von Anfang an auf ein eher zwiespältiges Echo bei den Fans – nicht wenige fanden den Ansatz, die Figur überdreht und zappelig darzustellen (eine Folge des superschnellen Stoffwechsels), nervig. Weitere Fankritik gab es, weil der Hauptdarsteller der sehr erfolgreichen DC-Fernsehserie The Flash, Grant Gustin, nicht auch für den Kinofilm besetzt worden war (hier gibt es ebenfalls Parallelwelten: DCs Fernsehhelden existieren unabhängig vom Kinouniversum und sind weit humorvoller als die Kino-Pendants; eine erste reale Flash-TV-Serie lief bereits 1990). Und schließlich tauchten über Ezra Miller jede Menge skandalöser Medienberichte von der Sorte auf, die Filmstudios gerade in Zeiten wie diesen fürchten wie der Teufel das Weihwasser: Miller wurde u. a. vorgeworfen, junge Frauen manipuliert, körperliche Gewalt ausgeübt und Kinder bedroht zu haben; im Jänner 2023 wurde der offenbar häufig mit kugelsicherer Weste bekleidete, möglicherweise von psychischen Problemen geplagte Schauspieler wegen Hausfriedensbruchs zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Und so macht es den Eindruck, dass der neue Film nun eher als Batman- denn als Flash-Film beworben wird und der Titelheld zumindest in den Trailern wie ein Nebendarsteller in seinem eigenen Film wirkt.
Bevor wir zu Batman kommen, werfen wir noch schnell (no pun intended) einen Blick darauf, warum Studios die Multiversen eigentlich lieben gelernt haben: Hollywood wird ja oft Mangel an Ideen vorgeworfen, und tatsächlich gibt es schon seit Jahren den Trend, die Zuseher mit Nostalgie zu ködern (siehe u. a. die letzte Star Wars-Trilogie, Ghostbusters: Afterlife oder Jurassic World: Dominion, in denen die Ur-Besetzung jeweils auf die Stars von heute traf; demnächst startet ein neuer Indiana Jones mit einem digital verjüngten Harrison Ford). So lockt man nicht nur die Jugend von heute ins Kino, sondern auch deren Eltern. Der Mega-Hit Spider-Man: No Way Home (2021) war schneller als der Blitz (pun intended) und brachte durch den Zauber von Doctor Strange (der in The Multiverse of Madness auch einen eigenen Parallelwelt-Film bekam) diverse Spider-Men (Tom Holland, Andrew Garfield, Toby Maguire) und Bösewichte (u. a. Alfred Molina als Doc Ock) aus unterschiedlichen Realitäten zusammen. Ein Multiversum-Traum für Fans jeden Alters, wie ein Einspielergebnis von 1,9 Milliarden Dollar eindrucksvoll demonstriert – Nostalgie und Retro-Feeling wurden hier besonders effektiv in bare Münze umgesetzt.
Batman Returns
Der endgültige Tod von Figuren wird in Hollywood ja oftmals gescheut, verdirbt man sich dadurch doch mögliche Sequels oder Merchandise-Umsätze. Es gibt aber die Möglichkeit eines vorübergehenden Todes samt folgender Auferstehung – ganz nach dem Prinzip „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“. Zur Wiederbelebung bereits gefallener Heroen oder Gastauftritten von Figuren aus anderen Timelines können neben Magie und Zeitreisen eben auch Multiversen beitragen. Handlungsmäßig kann theoretisch alles passieren, was der Drehbuchautor gerade braucht und was das Studio gerne hätte. Zum Beispiel kann so auch der Ausstieg von Schauspielern bewerkstelligt werden, ohne gleich die Figur an sich zu töten; in einer alternativen Realität hat eben ein anderer den Platz von Superheld XY eingenommen. Daher verwundert es nicht, dass es in The Flash nicht nur auf der Handlungsebene um die Reparatur einer angeschlagenen Welt geht – der Film soll das so zwiespältig aufgenommene Snyderverse resetten bzw. mit einer neuen Timeline zum Abschluss bringen.
Dass das Konzept eines Multiversums abgesehen von seinen kommerziellen Möglichkeiten aber auch viel Potenzial für Kreativität und Vielschichtigkeit bietet, haben schon die Comics immer wieder bewiesen; Everything Everywhere All at Once schließlich etablierte das Multiversum auch außerhalb des Superhelden-Genres bei einem größeren Publikum. Beim bereits erwähnten Spider-Man: No Way Home gab es etwa – auch wenn der Film an sich nicht unbedingt der kreativste war – ein durchaus rührendes Gespräch über die Verfehlungen und Schicksalsschläge der einzelnen Helden in ihren jeweiligen Universen. In diesen Szenen funktionierte der Film durchaus als Reflexion über unterschiedliche Lebensentwürfe. Spannend kann es zudem sein, bekannte Figuren mit anderen Geschichtsverläufen zu konfrontieren, um ihnen neue Facetten abzugewinen. Werden sie anders reagieren als gewohnt? Können strahlende Helden zu Schurken werden und vice versa? Hier landet man dann schon bei Themen wie Determinismus und Sozialisierung.
Der Sony/Marvel-Animationsfilm Spider-Man: Into the Spider-Verse (2018) konnte die Kritik ebenfalls mit diversen Spidey-Varianten überzeugen – siehe dazu den Kasten auf Seite 35. Im Fall von Barry Allen hat die aktuell in die 9. und finale Season gehende TV-Serie (manchmal mehr, manchmal weniger geschickt) u. a. mit den weitreichenden Auswirkungen gespielt, die jede kleine Veränderung haben kann (vgl. dazu den Schmetterlingseffekt) und auch viele Figuren aus Parallelwelten auftreten lassen. Einer der möglichen Handlungsstränge des neuen Films könnte also um die Frage kreisen, welchen Preis der Wunsch nach dem persönlichen Glück (die Mutter wird nie ermordet, der Vater stirbt nicht unschuldig im Gefängnis) hat. „I have to undo what I did“, heißt es einmal. Aber: Alles ist möglich, nix ist fix.
Nun aber wie angekündigt zur Fledermaus mit dem potenten Nostalgie-Fakor: Um den Schlamassel der vom roten Raser ungewollt kreierten, tristen Realität wieder zu richten, ist die Hilfe eines alten Batman (respektive Bruce Wayne) aus einer anderen Realität erforderlich. Und dieser wird von niemand anderem verkörpert als Michael Keaton, dem Hauptdarsteller aus Tim Burtons Batman (1989) und Batman Returns (1992). Wenn der mittlerweile 71-Jährige hier als Mentor-Figur auftritt, dürfte es wohl zu einigen „nerdgasms“ kommen, gilt Keatons Darstellung im Kostüm doch mittlerweile vielen als Batman-Nonplusultra (und ja, er sagt wieder „I’m Batman“). Menschen, die bei der Batmania von 1989 dabei waren, werden also sicherlich gespannt sein, was ihr alter Held so treibt, ein Kinoticket lösen und im Idealfall Kinder oder Enkelkinder, die auf die Helden von heute stehen, mitnehmen – Konkurrent Marvel hat es vorgemacht. Die diversen Trailer führen mit Aufnahmen der Batcave und des Batmobile aus den Burton-Filmen jedenfalls die „Memory Lane“ hinunter; dazu wird das legendäre Batman-Thema von Komponist Danny Elfman angespielt. Willkürlich ausgewählter Kommentar eines YouTube-Users zu einem der Trailer: „I cannot begin to describe my excitement once I saw Michael Keaton as a Batman in this video other than to say it was as if my childhood had returned.“ Wer hätte vor ein paar Jahren noch gedacht, dass dies jemals passieren würde? Doch gibt es nicht nur Altvertrautes, sondern auch Updates: Das neue Bat-Kostüm scheint eine Kombination aus diversen Elementen der Vergangenheit zu sein, wie ein Blick in den Kostüm-Tresor im Trailer verrät. Zudem sind Indizien vorhanden, wonach Batman zu Beginn im Ruhestand ist und erst von Barry reaktiviert wird.
Übrigens ist auch die jüngere Vergangenheit in The Flash mit dabei: Michael Shannon, der Superman als General Zod in Snyders Man of Steel das Leben schwer machte, ist ebenso an Bord wie Ben Affleck, der im Snyderverse mehrmals ins Fledermauskostüm schlüpfte und sich von der einzelängerischen Keaton-Version zum Beispiel darin unterscheidet, dass er lernen musste, im Team zu arbeiten. An neuen Figuren wird beispielsweise ein Parallelwelt-Supergirl (Sasha Calle) eingeführt, darüber hinaus darf man mit der einen oder anderen Überraschung (Cameos, Easter Eggs etc.) rechnen.
Was ihre persönliche Geschichte betrifft, haben The Flash und Batman jedenfalls einiges gemeinsam. „The scars we have make us who we are“, heißt es einmal im Trailer. Andererseits erhält Barry auch den Ratschlag, eben nicht zum gnadenlosen Rächer zu werden: „Don’t let your tragedy define you.“ Inwieweit der Film Themen wie die traumatischen Auswirkungen einschneidender Ereignisse bzw. die Konsequenzen getroffener (und nicht getroffener) Entscheidungen auch vertiefen kann, wird man sehen. Die Trailer zeigen jedenfalls, dass Barry aka Flash sich auch mit diversen Varianten seiner selbst – in Zivil und im Kostüm – verbündet bzw. mit ihnen zu kämpfen hat (z. B. als Dark Flash), da diese jeweils den Status quo ihrer eigenen Welten erhalten oder korrigieren möchten. Eine gewisse Komplexität der Handlung kann also, wie das bei Zeitreise-Filmen mit aufgesplitteten Timelines häufig der Fall ist, durchaus erwartet werden (siehe etwa Back to the Future Part II, 1989).
Etablierte Marken, so könnte jedenfalls das kurze Multiversum-Fazit lauten, können durch das Konzept gleichermaßen mit Nostalgie aufgeladen wie verjüngt, das Vertraute nach Belieben mit dem Neuen kombiniert werden. Bleibt zu hoffen, dass Drehbuchautorin Christina Hodson und Regisseur Muschietti unter den unendlichen Möglichkeiten, die die Story von The Flash bietet, eine besonders kreative gefunden haben.