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Rauchen im Film – Casablanca

Rauchen im Film

Smoke gets in your eyes

| Oliver Stangl |

Allen politischen Unkenrufen zum Trotz: Rauchen im Film sieht immer noch verdammt cool aus. Ein kurzer Blick auf ein Phänomen.

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Smoking was such a useful device in all of these movies. It gave the actors something to do, gave business, gave motion to the screen, motion to close-ups, gave visual interest, allowed body language to happen, allowed moods to be expressed.“ Der Mann, der auf dem Audiokommentar der DVD Casablanca (1942) so vom Rauchen schwärmt, hasst den blauen Dunst im wirklichen Leben. Man kann es ihm nicht verdenken – seine Eltern sind an Raucherkrankheiten gestorben, der Vater an Lungenkrebs, die Mutter an einem Emphysem. Aber im Film, so Kritikerlegende Roger Ebert von der „Chicago Times“, habe er rein gar nichts dagegen einzuwenden, im Gegenteil: „Casablanca without cigarettes would seem to be standing around looking for something to do“, wie Ebert bei anderer Gelegenheit äußerte. „These movies“, damit meint er im Besonderen den Film noir, jenes Genre, das von gescheiterten Existenzen, Abgründigkeiten und dem Spiel mit Licht und Schatten geprägt ist. Casablanca mag zwar vom Inhalt her mehr Melodram sein, formal sind jedoch viele Einstellungen eindeutig „noir“.

Der bis heute als zentrale Figur dieses Genres verehrte Humphrey Bogart konnte wahrlich rauchen. Egal ob als von der Liebe gebeutelter Barbesitzer Rick Blaine in Casablanca, als Schnüffler Sam Spade (The Maltese Falcon, 1941) oder Philip Marlowe (The Big Sleep, 1946), wenn Bogie eine Zigarette zum Mund führte, wirkte das nicht nur cool, sondern auch tiefgründig – jeder Zug ein Gedanke hinter einer stoischen Miene. Aber auch für die Femme fatale der Dreißiger und Vierziger Jahre gehörte das Rauchen wie selbstverständlich zum Rollenbild – es stand für Verruchtheit und Gefährlichkeit ebenso wie für Selbstbewusstsein. Lauren Bacall, Bogarts Leinwandpartnerin und Ehefrau, wirkte mit Zigarette nicht weniger lässig als er. Aber auch Frauen, die nicht von einem anrüchigen Image umgeben waren, rauchten im Film, etwa Katharine Hepburn. Es gehörte dazu, war selbstverständlich, war allgegenwärtig – und sah gut aus. Eleganz und Alltäglichkeit waren in diesem Fall kein Widerspruch.

Dass das exzessive Rauchen zumindest bei einigen der klassischen Leinwandikonen letale Folgen hatte, gehört zu den Schattenseiten des schicken Looks und des harten Images: Der exzessive Raucher (und Trinker) Bogart verstarb 1957, mit 57 Jahren, an Speiseröhrenkrebs; der charismatische Glatzkopf Yul Brynner (1920–1965), Oscar-gekrönt für The King and I (1956), nahm, kurz bevor er an Lungenkrebs starb, einen Anti-Raucher-Spot auf: „Now that I’m gone, I tell you, don’t smoke. Whatever you do, just don’t smoke. If I could take back that smoking, we wouldn’t be talking about any cancer. I’m convinced of that. I smoked and I smoked a lot, since I was a kid just to appear macho, because I didn’t have brains enough to understand that wouldn’t do it, that something else makes you macho.“

Rauchzeichen

Doch wie gesagt: Rauchen im Leben ist die eine Sache, Rauchen im Film die andere. Es ist mit Codes belegt wie kaum eine andere Tätigkeit. Wenn ein Mann einer Frau im Film Feuer gibt, ist der Flirt nicht weit (oder die Zigarette danach), wenn der Kommissar einem Verdächtigen im Verhörzimmer eine Zigarette anbietet, kann sich dieser zumindest ein wenig Hoffnung auf Milde machen. Hockt ein investigativer Reporter mit Kippe im Mundwinkel über der Schreibmaschine, wirkt er gleich viel beschäftigter. (Sieht man sich etwa Jack Golds mediokren Film Der Fall Lucona aus dem Jahr 1993 an, könnte man meinen, dass Aufdecker Hans Pretterebner den Jahrhundertverbrecher Udo Proksch nur deshalb zur Strecke brachte, weil er Kette rauchte.) So ist das mit Rauchen im Film: Klischees und Authentizität liegen nahe beieinander. (Auch „ray“ profitiert von der Coolness des Rauchens, wie mittlerweile acht Raucher-Covers beweisen. Eines der begehrtesten Exemplare ist das Heft 03/07, das ein Still aus Steven Soderberghs The Good German ziert: Cate Blanchett in Schwarzweiß, das Gesicht im Halbschatten, eine Zigarette elegant in der Hand haltend.)

Historische Filme, die Themen des 20. Jahrhunderts aufarbeiten und etwas auf sich halten, können ohnehin nicht auf Zigarettenrauch verzichten: George Clooneys passenderweise in Schwarzweiß gedrehtes Kammerspiel Good Night, and Good Luck. (2005) etwa, das die Paranoia der McCarthy-Ära zum Thema hat, zieht einen nicht unwesentlichen Teil der Atmosphäre und des Zeitkolorits aus den unzähligen Zigaretten, die Journalistenlegende Edward R. Murrow (David Strathairn) in den 93 Minuten Laufzeit konsumiert. (Der reale Murrow starb übrigens 1965 an Lungenkrebs.)

Selten wurde der rücksichtslose Genuss, aber auch das Bild, das mit Rauchen verbunden ist, so lakonisch zugespitzt – und humorvoll – auf den Punkt gebracht wie in Aki Kaurismäkis I Hired a Contract Killer (1990): Henri Boulanger (Jean-Pierre Léaud) hat seinen Job verloren und setzt einen Killer auf sich selbst an, der ihn, wenn er nicht damit rechnet, erschießen soll. Nachdem Henri nun nichts mehr zu verlieren hat, geht er, der bisher nie trank oder rauchte, in die nächste Bar und bestellt einen Drink und Zigaretten. Die Art, wie er sich das erste Mal eine Tschick ansteckt, muss man wirklich gesehen haben. In Léauds Darstellung verbinden sich Neugier, Unbedarftheit und stille Komik auf das Trefflichste. Wüsste man es nicht besser, könnte man wirklich der Meinung sein, dass auch Léaud in dieser Szene zum ersten Mal im Leben raucht.

Die Auswirkungen, die kleine Entscheidungen auf den weiteren Verlauf eines Lebens ausüben können, werden in Alain Resnais’ Zweiteiler Smoking / No Smoking (1993), der auf dem Stück „Intimate Exchanges“ von Alan Ayckbourn basiert, verhandelt. In Smoking zündet sich eine Protagonistin zu Beginn eine Zigarette an, in No Smoking unterlässt sie es – die beiden Filme nehmen einen gänzlich unterschiedlichen Verlauf.

Dass Rauchen auch ein Zeichen von Menschenwürde sein kann, zeigte sich eindrucksvoll in Freaks (1932), Tod Brownings Klassiker über Ausgestoßene der Gesellschaft: Der Darsteller Prince Randian, der ohne Gliedmaßen geboren wurde, dreht sich in einer ungeschnittenen Szene eine Zigarette, zündet sie an und raucht sie – nur mit Hilfe des Mundes. Eine für Menschen ohne Behinderung banale Tätigkeit wird hier zum Ausdruck von Gleichwertigkeit.

Sozialer Kitt

Vom eingangs erwähnten Bogart ist es nicht weit zu einem Philip Marlowe der etwas anderen Art: Elliott Gould ist als Schnüffler in Robert Altmans grandioser Chandler-Adaption The Long Goodbye (1973) einer der coolsten und intensivsten Raucher der Filmgeschichte – in jeder Szene des Films hat er eine Kippe im Mundwinkel und einen lässigen Spruch auf Lager. Zur Coolness gesellt sich die Komik: Goulds Marlowe reißt sich die Streichhölzer überall an – an den eigenen Wänden, einem Plas-tikfenster im Supermarkt oder beim Überqueren eines Platzes mittels schneller Kniebeuge am Boden. Die sogenannten „Strike anywhere matches“, die heute auch in den USA nur noch schwer erhältlich sind und sich aufgrund des extrem hohen Schwefelgehaltes überall entzünden ließen, trugen damals stark zum lässigen Image des Rauchens bei – und sorgten für großartige Filmszenen: In Billy Wilders Stalag 17 (1953) entzündet William Holden ein Streichholz an Neville Brands Wange, im zweiten Teil von Sergio Leones Dollar-Trilogie, Per qualche dollaro in più (1965), reißt sich Pfeifenraucher Lee Van Cleef eines am Buckel Klaus Kinskis an. Seit Clint Eastwoods namenlosem Helden mit Zigarillo im Mundwinkel gehörte Rauchen ohnehin zu jedem Western-Antihelden, der etwas auf sich hielt.

Und nicht zu vergessen ist, dass Rauchen die Leute zusammenbirngt: Nicht nur Heinrich Böll hielt sich in seinen Romanen an dieses Motto (Kritiker verglichen das Herumreichen von Zigaretten in seinen Büchern mit der christlichen Kommunion, die Gemeinschaft unter den Figuren stiftet), auch Kettenraucher Paul Auster ging mit seinem Drehbuch zu Wayne Wangs Episodenfilm Smoke (1995) in diese Richtung. Das Rauchen an sich und Rauchwaren erscheinen hier als sozialer Kitt und Handlungskatalysatoren. Außerdem darf William Hurt als Schriftsteller Paul Benjamin eine wunderschöne kleine Geschichte darüber erzählen, wie es Sir Walter Raleigh, der den Tabak im 16. Jahrhundert in England einführte, gelang, das Gewicht von Rauch festzustellen.

2007 veröffentlichte die Universität von San Francisco eine Studie, wonach das Rauchen im US-Film ein historisches Hoch erreicht habe; 2002 wurde in Hollywoodfilmen mehr geraucht als jemals zuvor. Für Deutschland kam das Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung in Kiel zum Ergebnis, dass im deutschen Kinofilm häufiger geraucht wird als in amerikanischen Filmen sowie Filmen aus anderen europäischen Ländern. Während es im Leben immer stärker eingeschränkt wird, qualmen die Leinwände – ein Versuch, den Einschränkungen zumindest in der Welt des Films zu entkommen? (Zumindest der einst so mondäne James Bond darf momentan nicht rauchen: Eine Szene in Casino Royale, in der Daniel Craig sich eine Zigarre gönnte, wurde herausgeschnitten.)  In asiatischen Ländern stimmen Fiktion und Realität jedoch überein, sowohl im Leben als auch im Film wird von Südkorea bis Japan exzessiv geraucht.

Dass die Werbung für Zigaretten eingeschränkt wurde, ließ die Tobacco Companies zunehmend auf Product Placement setzen. Manchmal sieht das recht organisch aus, kann aber auch ziemlich in die Hosen gehen wie im Film Runaway Bride (1999), in dem Julia Roberts völlig unmotiviert zu einem Päckchen Marlboro greift. Wer sich für die Machenschaften der Tabakindustrie interessiert, dem sei Michael Manns Meisterwerk The Insider aus demselben Jahr empfohlen – ein brillant erzählter Film über das Rauchen, in dem nicht geraucht wird. (Kaum geraucht wird in Jason Reitmans Satire Thank You for Smoking aus dem Jahr 2005, die mit bösem Humor die Winkelzüge eines Beraters der Tabakindustrie beobachtet.) Kann sich das Kino auf die künstlerische Freiheit berufen, wenn es Raucher zeigt, sieht es in anderen Bereichen nicht so gut aus. So treibt die politische Korrektheit zuweilen seltsame Blüten: 2008 gab die amerikanische Post eine Briefmarke zum 100. Geburtstag von Bette Davis heraus. Das Bild darauf zeigte eine ikonische Abbildung der Schauspielerin, auf dem etwas Entscheidendes fehlte: die Zigarette. Man kann ein Freund oder ein Feind des Rauchens sein, diese Art von Revisionismus, die scheinbar die historischen Spuren des Rauchens auslöschen will, erscheint jedoch mehr als bedenklich.

Das Medium Fernsehen zeigt sich gegenwärtig zwiegespalten: In Fernsehsendungen oder Sitcoms sieht man kaum noch jemanden zur Zigarette greifen, mittlerweile gibt es sogar Preise für rauchfreies Fernsehen – unter den Preisträgern des so genannten „Rauchfrei-Siegels“ ist etwa die Soap „Sturm der Liebe“. Was für ein Unterschied zu den Talk-Shows der Siebziger, in denen sich Moderatoren und Gäste im rauchverhangenen Studio gegenseitig Feuer gaben. Standhafte Ausnahme: der deutsche Ex-Kanzler Helmut Schmidt, der auch dort raucht, wo andere nicht dürfen (oder sich nicht mehr trauen).

Wo Wert auf Authentizität (im Sinne menschlicher Schwächen) und künstlerische Qualität gelegt wird, und das ist in vielen US-Serien der Gegenwart der Fall, ist Rauchen nach wie vor Teil der Handlung: Ein besonders auffälliges Beispiel ist aktuell die Serie „Mad Men“, die im US-Werbemilieu der Sechziger Jahre spielt und in der gepofelt wird, was das Zeug hält – alles andere wäre auch unglaubwürdig. Auf eine provokante These zugespitzt, könnte das heißen: Wo im Film Wert auf künstlerische Qualität gelegt wird, ist auch das Rauchen nicht weit. Der historischen Korrektheit sei jedenfalls der Sieg über die politische Korrektheit gegönnt, auch wenn die meisten Schauspieler in „Mad Men“ nikotinfreie Kräuterzigaretten rauchen.

 

Roger Eberts Audiokommentar befindet sich auf der bei Warner Home Video erschienen DVD „Casablanca“, Special Edition.