Endlich wieder Sommerkino-Feeling: Eine Reise durch die Programme der Open-Air-Veranstaltungen von Wien bis Bludenz.
Zum Glück haben die allermeisten Sommerkinoveranstalter die mageren Corona-Jahre unbeschadet überstanden und können jetzt den Hunger den Publikums nach Open-Air-Erlebnissen wieder landesweit befriedigen. Wobei dieser Text Mitte Juni geschrieben wurde und wir inständig hoffen, dass es auch Mitte August noch möglich sein wird, in größeren Gruppen in lauschigen Gärten oder malerischen Schlossparks gemeinsam abzuhängen und mit einem kühlen Getränk über die Filme zu diskutieren. Zwar ist es aus Platzgründen nicht möglich, auf unserer Sommerkino-Reise all die vielen Kulturinitiativen zu nennen, die ihr Herzblut in die Organisation von Filmabenden unter freiem Himmel stecken, aber es bleibt immer noch genug zu sehen und zu entdecken.
In Wien gibt es eine lange Tradition und eine bunte Vielfalt an Open-Air-Locations. Die größte von ihnen verzaubert alljährlich Einheimische und Touristen am Rathausplatz bei freiem Eintritt mit einer Riesenleinwand und einem umfangreichen Gastronomie-Angebot. Das ursprünglich sehr stark von klassischer Musik dominierte Programm wird immer poppiger. Heuer dürfen sich Fans von Konzertfilmen u. a. auf David Bowie, Queen oder Amy Winehouse freuen. Das Outdoor-Mekka von Cineastinnen und Cineasten und allen, die es noch werden wollen, ist zweifellos das von der Viennale und dem Filmarchiv Austria betriebene Kino wie noch nie im baumreichen und idyllischen Augarten. Alle Filme werden am nächsten Tag im Metro Kinokulturhaus wiederholt, so kann man auch bei Schlechtwetter den Geschichten vom Willi lauschen. Der Dokumentarfilm von Harald Friedl über Willi Resetarits ist neben Blutrausch, in dem er als Schauspieler zu sehen ist, Teil eines Tributes an den viel zu früh verstorbenen Musiker und Aktivisten. Beliebt sind auch die Stummfilme mit Live-Musikbegleitung wie z.B. Häxan, ein Klassiker des Expressionismus, der schon vor hundert Jahren das Publikum verstörte. Einige Previews wie der Berlinale-Gewinner Alcarràs und ein Schwerpunkt mit den Filmen der französischen Regisseurin Céline Sciamma runden das vielfältige Programm ab.
Zum Glück kann man heuer auch wieder am Karlsplatz gratis eine Auswahl an selten gezeigten, cineastischen Perlen des Weltkinos genießen. Mit Moneyboys und Krai sind bei Kaleidoskop auch zwei Werke dabei, die zwar als österreichische Filme fungieren, aber zur Gänze in Taiwan bzw. in Russland nahe der ukrainischen Grenze gedreht wurden. Als Kontrast bietet sich der Festivalliebling Beatrix an, der mit seiner interessanten Protagonistin ausschließlich in einem Haus am Stadtrand von Wien spielt. Kino am Dach auf dem Dach der Hauptbücherei und das Gratis-VolxKino, das öffentliche Plätze in ganz Wien bespielt, werden beide von St. Balbach Art Produktion betrieben. Dort kann man sich übrigens auch eine Leinwand für sein privates Garten-Open-Air mieten. Kino am Dach bietet wie immer eine Art Best-of des vergangenen Kinojahres wie das unterhaltsame Paralleluniversum-Familiendrama Everything, Everywhere All at Once oder den melancholischen japanischen Oscar-Gewinner Drive My Car. Es gibt aber auch Sonderprogramme wie den feministischen Girls Can’t Surf über die weiblichen Profis in einer männlich dominierten Sportart. Das VolxKino will auch Leuten, die an der Peripherie wohnen, anspruchsvolle Filme näher bringen. Soldat Ahmet, das berührende Porträt eines Suchenden, die äußerst unterhaltsame Real-Life-Satire Curveball oder die leider brandaktuelle Doku Donbass sind auf jeden Fall sehenswerte Programmpunkte.
Wer gerne Kurzfilme, kühle Drinks und kultige Locations mag ist bei den Festivals dotdotdot und Frame[o]ut bestens aufgehoben. Im lauschigen Garten des Volkskundemuseums in der Josefstadt stehen wieder diverse Vernetzungen, diesmal mit der Kunstwelt, dem Queer Museum, Forschungsnetzwerk Realfiktion Klimarechnungshof und Cinema Next, der polnischen Filmemacherin Katarzyna Warzecha und österreichischen Künstlern wie Hubert Sielecki, auf dem Programm. Im beliebten und belebten Museumsquartier werden bei Frame[o]ut einige kuratierte (Musik)Kurzfilme gezeigt, aber auch Langfilme. Verschwinden/Izginjanje, die neue Doku von Andrina Mračnikar, oder den Viennale-Crowdpleaser Medusa sollte man sich bei freiem Eintritt nicht entgehen lassen.
Das Land Niederösterreich fördert seit einiger Zeit finanziell die Entstehung von Sommerkinos, deshalb ist es auch kein Wunder, wenn überall oft nur für wenige Tage Möglichkeiten geschaffen werden, Filme unter freiem Himmel zu genießen. Ein Fixpunkt bei vielen Veranstaltern ist wenig verwunderlich der Deix-Film Rotzbub, ansonsten sind die Programme ein wenig mehr auf den breiten Publikumsgeschmack ausgerichtet, was z. B. im traditionsreichen Mondscheinkino Eggenburg bestens funktioniert. Fackellicht vor imposanten Zinnen in lauen Sommernächten sollte auch viele Wiener zu einem Ausflug ins malerische Eggenburg verlocken. Zur Eröffnung wird eine echte Rarität gezeigt: In der No-Budget-Mafiakomödie Little Green Bag spielen neben Tony Wegas auch der damalige Bürgermeister und der Mondscheinkino-Chef Andreas Zeugswetter kleinere Rollen. Auch für den fabelhaften Lady-Di-Film Spencer gibt die Burg eine perfekte Kulisse ab. Für kulinarische Genüsse sorgt zwar keine royale Küchenbrigade, der Mondscheinkino-Wirt lässt aber ebenfalls keine Qualitätswünsche offen.
Bestens etabliert ist auch das Kino im Kesselhaus Open-Air in Krems, als Eröffnung wird diesmal der seit Cinema Paradiso wohl stimmigste Film über die Magie des Kinos gezeigt: Das Licht, aus dem die Träume sind führt uns mit Hilfe einiger indischer Kinder zurück in eine Zeit, als ein Filmstreifen noch eine ganze Welt verändern konnte. Das Cinema Paradiso betreibt in St. Pölten und Baden äußerst erfolgreiche Sommerkinos. Diese bieten heuer neben Gustostückerln wie Summer of Soul oder als krönenden Abschluss die Rocky Horror Picture Show auch Konzerte, u. a. von den Steaming Satellites, Lesungen (z. B. von Wolf Haas) und Gespräche mit Filmschaffenden – etwa mit Marie Kreutzer, deren in Cannes bejubelte Sisi-Neuinterpretation Corsage die Sommerkinosaison bereichert. In Klosterneuburg gibt es eine neue Gastromeile und ein kontrastreiches Programm. Vom lakonischen Roadmovie Das letzte Geschenk bis zum Blockbuster The Batman, von Ulrich Seidls Rimini bis zu Channing Tatums Regiedebüt Dog – Das Glück hat vier Pfoten reicht das Spektrum. Dazu gibt es noch zahlreiche kleinere Locations; ein paar Tipps seien Ihnen noch ans Herz gelegt: Da wäre etwa Aretha Franklin – Amazing Grace in der Kulturkirche St. Marien in Amstetten, die großartige Ronnie-Wood-Doku Somebody Up There Like Me gratis in Brunn am Gebirge, im Strandbad Drosendorf wird man kulinarisch regional und nachhaltig bei Power of the Dog oder À la Carte verwöhnt. Im Schlosshof von Fels am Wagram gibt es den selten gezeigten iranischen Film Son/Mother, das Laxenburger Schloss bildet den stimmigen Hintergrund für Baz Luhrmanns Elvis. Auch die kleineren Besucher kommen auf ihre Rechnung, z.B. im Schloss Rothmühle/Schwechat bei Encanto, oder können sich in der von der turbojugend stonechurch in Stainakirchen organisierten Vorführung in die Geschichten vom Franz vertiefen.
Das Burgenland gilt noch nicht als Sommerkino-Hotspot, aber immerhin kann man in der Hofpassage in Eisenstadt die ORF-Stadtkomödie Curling für Eisenstadt auf der großen Leinwand erleben, oder in Bildein gegen eine freie Spende bei der französischen Komödie Mein Liebhaber, der Esel und ich entspannen. In der Steiermark ist das Leslie Open in Graz ein Fixpunkt im Veranstaltungskalender und sorgt mit einem dichten Programm für echtes Sommerkino-Feeling. Neben einer Kooperation mit der Diagonale, in deren Rahmen ein Publikumsgespräch mit den Intendanten und Kurdwin Ayub, der Regisseurin von Sonne, stattfindet, ist ein Schwerpunkt dem nachhaltigen Leben gewidmet, mit Filmen wie Farmers – gemeinsam gegen die Krise oder Der Bauer und der Bobo. Für Vielsehende gibt es einen All-You-Can-Watch-Kinopass um nur 67 Euro, der allerdings bei Konzerten (Cafe Drechsler), Multimediashows oder Theaterproduktionen nicht gilt. In Kärnten laden schöne Innenhöfe zum Filmgenuss ein: Das Burghofkino in Klagenfurt zeigt dankenswerterweise neben aktuellen Produktionen auch einige Klassiker: Bei Psycho von Alfred Hitchcock sollte man sich unbedingt vor der großen Leinwand fürchten, und auch die akrobatischen Kunststücke von Ang Lees Tiger and Dragon kommen dort viel besser zur Geltung. Auch im Innenhof der Musikschule Villach wird ein stimmungsvolles Ambiente für ein vielfältiges Programm geboten.
In Oberösterreich sind die ortsansässigen Programmkinos meist die Veranstalter der diversen Freiluftkinos. Über hundert Mal laden die Sommerkinos in Linz, Freistadt, Steyr und Vöcklabruck mit einer Mischung aus Highlights des laufenden Kinojahres, Premieren und Klassikern zum sommerlichen Filmgenuss unter Sternen. Da ist wirklich für jeden Geschmack etwas dabei. Horrorfans kommen bei der Creep Night mit Sleepaway Camp auf ihre Rechnung, Pasolinis 100. Geburtstag wird mit Mamma Roma gefeiert, Musikliebhaber können ihre Kenntnisse über Leonard Cohen bei der Preview von Hallelujah: A Journey, a Song auffrischen. In Bad Ischl gibt es die wohl einzigartige Möglichkeit, Viscontis Ludwig II. an einem der Original-Drehorte im Kaiserpark zu erleben. Das originelle Whirlpoolkino in Feldkirchen bei Linz sorgt für wahrhaft prickelnden Filmgenuss, man muss die Vorführungen aber nicht im Nassen verfolgen, man kann sich auch einfach auf eine Decke setzen. Auch Salzburg setzt im Sommer auf Outdoor-Kino, vor allem in touristischen Regionen. Das Gratissternenkino in Salzburg-Stadt läuft leider nur bis 3. Juli, aber in Obertrum kann man etwa Nomadland mit der unvergleichlichen Frances McDormand nachholen, wenn man den Film versäumt hat. Auch Radstadt bietet eine Open-Air-Location, und in Seekirchen hat man die seltene Gelegenheit, an einem Traktorkino teilzunehmen und so zwanglos mit den Einheimischen ins Gespräch zu kommen; mit dem eigenen Traktor werden wohl die wenigsten anreisen.
Das Zeughauskino in Innsbruck ist schon lange ein Fixpunkt des heimischen Sommerkinos, auch heuer bietet sich die Gelegenheit, exzellente Filmware wie Große Freiheit oder Licorice Pizza unter freiem Himmel (wieder) zu sehen. In St. Johann wird Almodóvars Parallele Mütter die Zuschauer zum Lachen und zum Weinen bringen, und am Walchsee lässt sich im August bestens bei drei Filmabenden der Urlaub genießen. Am Ende der Sommerkino-Reise machen wir noch in Rankweil in Vorarlberg Station, wo der berührende Supernova gezeigt wird, bevor wir am Ende noch auf ein eigenes Festival unter den Sternen hinweisen wollen: Die Alpinale in Bludenz ist aus dem heimischen Festivalgeschehen nicht mehr wegzudenken und bietet mit 60 Kurzfilmen (ausgewählt aus fast tausend Einreichungen) einen hervorragenden Überblick über das internationale Kurzfilmgeschehen. Kundige Jurys vergeben das Goldene Einhorn und das blutige Goldene Einhorn für den Bereich Horror, prämieren den besten VR-Film und küren den besten Vorarlberger Kurzfilm. Der gesellige Aspekt, der bei allen Open-Air-Kinos eine wichtige Rolle spielt, ist bei der Alpinale besonders wichtig, schließlich sind Essen, Trinken und nachher über die Filme reden ein integraler Bestandteil des Sommerkinoerlebnisses.
Das ist auch nicht anders, wenn man den Ton der Filme nur über Kopfhörer hört wie bei der Ö3 Silent Cinema Tour, die in diesem Sommer in allen Bundesländern Station macht.